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11.09.2012 17:30
Irrationale Wachstumskritik ist sinnlos und kontraproduktiv
Hambach - Wachstumskritiker diskutierten auf dem Hambacher Schloss. Albrecht Müller nimmt in seinem gestrigen Artikel darauf Bezug und stellt fest, dass der Diskurs in wesendlichen Dingen an der Sache vorbei geht. Was die Protagonisten so von sich geben, hat mit Sachverstand jedenfalls recht wenig zu tun. JWD


Albrecht Müller schreibt:
„Wachstumswahn, Wachstumszwang, Postwachstumsgesellschaft – eine irrelevante und in die Irre leitende Debatte“

[Auszüge]:
Am 21. August hatten wir auf den Hambacher Disput zu „Wachstum 2.0“ mit Angelika Zahrnt contra Albrecht Müller und Meinhard Miegel contra Heiner Flassbeck hingewiesen. Die Veranstaltung auf dem seit 1832 als Ort demokratischen Streits berühmten Hambacher Schloss fand – auch dank des Interesses von Leserinnen und Lesern der NachDenkSeiten – reges Interesse. Es folgt unten mein Beitrag im Disput mit Angelika Zahrnt, der Ehrenvorsitzenden des BUND. – Nachwirkender Gesamteindruck: Es ist bemerkenswert, in welch weitem Maße es dem Neoliberalen Meinhard Miegel gelungen ist, sich und seiner Partei, der Union, ein grünes und fortschrittliches Mäntelchen umzuhängen. Beim Hambacher Disput fand das seinen augenfälligen Niederschlag in der sichtbaren Verbrüderung („Verschwisterung“) der BUND-Ehrenvorsitzenden und einer anwesenden Landtagsabgeordneten der Grünen mit Meinhard Miegel. Auf diesen erstaunlichen PR Erfolg Miegels und der Union hatte ich im April 2011 schon einmal hingewiesen.

[..] Die Welt um uns herum brennt. Die Arbeitslosigkeit in Spanien liegt im Mai 2012 bei 24,6 %. Jeder zweite Jugendliche ist arbeitslos, im Mai 2012 52,1%;

In Griechenland ist die wirtschaftliche und soziale Lage noch dramatischer; auch in Irland, in Portugal, in Italien geht es bergab. Die zweite Weltwirtschaftskrise steht vor der Tür; sie wird auch Deutschland nicht verschonen.

Und wir treffen uns auf Schloss Hambach, da, wo sich Menschen vor 180 Jahren versammelt haben, weil ihnen die wirklichen, schlimmen Verhältnisse auf den Nägeln brannten. Wir hingegen disputieren über die „Postwachstumsgesellschaft“.

Haben wir keine anderen Probleme? Ich könnte – polemisch klingend, aber faktisch berechtigt – hinzufügen: die „Postwachstumsgesellschaft“ haben wir schon. Die erwähnten Länder haben den „Wachstumswahn“ und den „Wachstumszwang“ schon überwunden. Sie schrumpfen und kommen damit den Wünschen der Wachstumskritiker nach. Griechenland ist besonders erfolgreich und schon neun Quartale nacheinander auf Schrumpfkurs. Das Bruttoinlandsprodukt liegt dort heute 17,5 % unter dem Wert des zweiten Quartals 2008.

Erfolgreich auf Schrumpfkurs ist auch Spanien; insbesondere bei den Arbeitnehmereinkommen geht es steil bergab: Minus 5,77% zum Vorjahresquartal.

Europa auf Schrumpfkurs! Wunderbar!

Es fällt schwer, die Wachstumskritiker ernst zu nehmen. Ich will das dennoch versuchen und merke deshalb artig an: Es ist gut, dass die Landeszentrale für Politische Bildung des Landes Rheinland-Pfalz zum Disput über dieses Thema eingeladen hat. Man kann damit die Hoffnung verbinden, dass dies hilft, die Wachstumsdebatte zu beenden, und dass damit endlich der unendliche Gebrauch von Schlagworten und zusammengefügten und gefühlsmäßig aufgeladenen Begriffskonstruktionen versiegt. [..]

Fehleinschätzung bzw. der in der Debatte übliche schlampige Sprachgebrauch:

„Wachstum schafft Einkommen“? Wachstum schafft gar nichts. Wachstum wird am Ende einer Periode gemessen.

„Wachstum trägt zum Wohlstand bei“? Unsinn. Zum Wohlstand trägt bei, dass Menschen arbeiten und dafür Maschinen und möglicherweise auch natürliche Ressourcen nutzen. Und am Ende misst man, wenn man will, um wie viel Prozent die Volkswirtschaft gewachsen ist.

Wenn Sie sich dieses Verständnis von Wachstum klarmachen, dann werden Sie viele Formulierungen in der laufenden Wachstumsdebatte als fragwürdig erkennen: „Wachstumszwang“ zum Beispiel. Oder: „Wachstum eröffne Verteilungsspielräume“ und „Ohne Wachstum gäbe es diese nicht“. Oder: In den vergangenen Jahrzehnten sei „Wachstum die große Maschine“, die soziale Integration und gesellschaftlichen Fortschritt möglich gemacht habe, so Michael Müller von der SPD. Meinhard Miegel von der CDU unterstellt den Wachstumsfreunden, sie strebten Wachstum an, weil dadurch möglicherweise zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.

Sie sehen, hier wird das Wachstum als etwas Eigenes gesehen, aus dem dann etwas anderes, im konkreten Fall Arbeitsplätze, hervorgehen. Stimmt aber nicht. Arbeitsplätze werden geschaffen. Und dann misst man als Ergebnis ein Wachstum. [..]

Es ist ein großes Missverständnis, zu meinen, Arbeitsplätze würden nur geschaffen, wenn Ressourcen verbraucht werden oder gar Raubbau betrieben wird.

[..] In diesem Zusammenhang die sechster Anmerkung: Die Ressourcen mögen endlich sein, das Wachstum nicht.

Es ist immer wieder ein beliebtes Spiel der Wachstumskritiker, in der Argumentation auf die Unmöglichkeit eines exponentiellen Wachstum hinzuweisen und im konkreten Fall dies mit dem Hinweis zu verbinden, die Ressourcen seien endlich, also könne es kein unendliches Wachstum geben. Einmal abgesehen davon, dass es ziemlich weit hergeholt ist, sich im Jahre 2012 mit der Unmöglichkeit des unendlichen Wachstums im Jahre 3025 zu beschäftigen, das statistisch gemessene Wachstum ist nicht endlich. Schon die Reparatur der bisher entstandenen ökologischen und sozialen Schäden verlangt auch in der Zukunft Beschäftigung, die man statistisch erfasst und die sich in positiven Wachstumsraten niederschlagen kann.

Ein verbindendes Element der Wachstumskritiker ist die Vorstellung von der Sättigung.

Konservative denken, den Leuten gehe es eh viel zu gut Ökologisch engagierte und an der Bewahrung der Schöpfung Interessierte halten den Konsum aus ethischen Gründen für überzogen. Marxistisch geprägte Menschen sehen ihre Erwartungen erfüllt, der Kapitalismus sterbe an Überproduktion und Sättigung.

Sie spielen sich gegenseitig die Bälle zu. Eine fatale Koalition. Die Sättigungsthese passt zu den gut versorgten und tonangebenden Mittelschichten und Oberschichten. Dass es nicht allen so gut geht wie der gehobenen Mittelschicht und viele Menschen und Familien berechtigte Bedürfnisse haben, wird oft vergessen.

[..] Die Debatte hat eine beschäftigungs- und arbeitnehmerfeindliche Wirkung.

Wer heute dafür eintritt, dass die statistisch gemessene Wachstumsrate gleich Null sein müsse oder negativ, also ein Zeichen für eine schrumpfende Wirtschaft, der ist de facto auch gegen beschäftigungsfördernde politische Entscheidungen. Die Wachstumskritiker sind Kritiker einer aktiven Konjunkturpolitik, die in der jetzigen Situation immer eine expansive Wirtschaftspolitik sein muss. Die neoliberalen Kräfte setzen seit fast 30 Jahren darauf, dass ein Heer von Arbeitslosen und Niedriglohnempfängern entsteht und damit Druck ausgeübt wird auf die Löhne insgesamt. Sie waren mit dieser Strategie ausgesprochen erfolgreich. Die Lohnquote ist im gleichen Zeitraum quasi abgesoffen – von über 70% in den 1970ern auf knapp über 60% heute, die Reallöhne stagnieren, die Lohnstückkosten liegen weit unter dem Niveau der europäischen Entwicklung.

[..] Mein Fazit: Die Wachstumskritik dient leider oft der Profilierung ihrer Betreiber. Zu diesem Zweck werden alte Ansätze als neu verkauft und bei der Erzählung der Geschichte der Wachstumskritik wird deshalb ordentlich geschummelt.

Die Möglichkeiten zur politischen Gestaltung werden in der wachstumskritischen Debatte deutlich unterschätzt.
Die Debatte um Ökonomie und Ökologie verlief in den letzten 40-50 Jahren nicht so linear, wie dies in den Verlautbarungen der Wachstumskritiker erscheint. Die von Wachstumskritiker in gebrauchte Parole „Schneller weiter höher“ verfälscht den Ablauf der Diskussion und auch der politischen Entscheidungen zum Thema. Nur wenn man das Auf und Ab in der Umweltdebatte und in der Umweltpolitik in Rechnung stellt, wird man auch zu den politisch richtigen Schlussfolgerungen kommen. Man wird dann zum Beispiel den Gestaltungsspielraum begreifen können, den es gab und den es gibt, den man benutzt hat und dann wieder verschüttet hat. [Auszüge Ende / Quelle: nds.de]


Link zum vollständigen Artikel bei ' nds.de '  ..hier


Anmerkung: Der Artikel ist stark gekürzt. Albrecht Müller hat 10 Punkte herausgearbeitet, die aufzeigen, warum Wachstumskritiker mit ihrer Diskussion in die Irre führen.

 
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