<< zurück | Home | JWD-Nachrichten | Teilen |

26.09.2012 14:25
Merkelantismus
Merkelantismus (furiosa Teutonicorum insania*) ist nicht die Legastheniker-Schreibweise von Merkantilismus. Dennoch besteht erstaunliche Geistesverwandtschaft zwischen dem Merkantilismus, einer Wirtschaftsauffassung, die seit dem 18. Jahrhundert als gescheitert gilt, und dem Merkelantismus, einer zeitgenössischen deutschen wirtschaftspolitischen Doktrin. [Quelle: Le Monde diplomatique]  JWD


Was war der Merkantilismus? Eine wirtschaftspolitische Lehre, die den Machtinteressen der entstehenden Nationalstaaten dienen sollte. Der Kerngedanke war: Je mehr Geld ein Staat besitzt, desto reicher ist er, je reicher er ist, umso mehr Macht hat er. Da Geld im Frühkapitalismus die Form von Edelmetallstücken hatte, konnte ein Staat, der keine eigenen Erzvorkommen ausbeuten konnte, nur durch Überschüsse im auswärtigen Handel zu mehr Geld kommen.

Ziel war also, mehr an das Ausland zu verkaufen, als vom Ausland zu kaufen, und sich die Differenz mit Gold oder Silber bezahlen zu lassen. Dazu sollte der Staat die Wirtschaft steuern, um dem Handel eine Gestalt zu geben, die Exportüberschüsse ermöglichte. Das Übergewicht im auswärtigen Handel sollte die Geldströme ins eigene Land führen und ihm auf diese Art auch zu einem machtpolitischen Übergewicht verhelfen.

Was war daran falsch? Als Erstes fällt jedem auf, der nicht völlig in der Egomanie nationalstaatlichen Machtstrebens befangen ist, dass ein Exportüberschuss auf Dauer kein verallgemeinerungsfähiges Ziel ist. Wenn alle mehr einnehmen wollen, als sie ausgeben, blockieren sie sich wechselseitig. Der Hauptfehler der Merkantilisten war jedoch, wie Adam Smith zu Recht kritisierte, die Verwechslung von Reichtum und Geld: Geld sei zwar ein Mittel, um an die konsumierbaren Güter zu kommen, aus denen der wirkliche Reichtum letztlich bestehe.

Aber der bloße Geldbesitz garantiert keineswegs, dass dem Geld auch die gewünschten Güter zum Kauf gegenüberstehen. Midas lässt grüßen: Wem alles zu Gold werden soll, was er berührt, der verhungert. Hinter den Fehleinschätzungen der Merkantilisten steckte die Überzeugung, dass der Konsum nur eine sekundäre Rolle spielen darf, weil nur dann, wenn das Einkommen die Ausgaben übersteigt, Reichtum wachsen könne. [..]

Der Merkelantismus ist die nicht nur von der Regierung, sondern auch in den deutschen Medien gern, laut und häufig vertretene Auffassung, dass die Euroländer, allen voran die "Problemländer", dem deutschen Weg folgen sollten: Mit viel Arbeit und wenig Konsum sollen alle den Export stärken und sich so aus der Schuldenklemme befreien.Mit der Festlegung entsprechender Bedingungen für neue Kredite zur Verhinderung von Staatsbankrotten hat die deutsche Regierung diese Doktrin als Leitlinie der Eurozonen-Wirtschaftspolitik durchgesetzt. Harte Sparmaßnahmen, gekoppelt mit Massenentlassungen und Rentnerarmut, Schuldenbremsen und Fiskalpakten, sollen die Staatsfinanzen sanieren - in den "Problemländern". [..] [Quelle1: nds.de | Quelle2: Le Monde diplomatique]

Link zum vollständigen Artikel bei ' Le Monde diplomatique '  ..hier


Anmerkung: So einfach und einleuchtend der geschilderte, funktionale, wirtschaftliche Zusammenhang ist, so wenig ist dieses Wissen Allgemeingut bundesdeutscher Durchschnittsbürger. Im Gegenteil, sobald man darauf hinweist, geht die Klappe zu und man bekommt etwas von deutschem Fleiß und deutschen Tugenden zu hören. Die neoliberale Gehirnwäsche und Verdummungsdoktrin der Mainstream-Journaille von Bertelmann, Springer & Co. wirkt nachhaltig.



*) lat. furiosa Teutonicorum insania, rasender Wahnsinn der Deutschen ..hier

 
<< zurück | Home |