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09.12.2013 11:45
Obama Gets Real - Obama wacht auf
Paul Krugman, NYT , 5.12.13 - Die Medien haben Obamas Rede über die große Ungleichheit weitgehend zynisch kommentiert. Man kennt die Masche: Noch ein “Neustart” , der im Nichts enden wird; Nichts davon wird die geringste Auswirkung auf die Politik haben, und so fort. Sollten wir uns aber nicht erst einmal auf den Inhalt der Rede konzentrieren, bevor wir uns mit den politischen Auswirkungen befassen, die sie denn haben oder nicht haben mag? War das wahr, was der Präsident gesagt hat? War das neu? Wenn die Antwort darauf ein Ja ist - und das ist sie - dann verdienen seine Worte ernsthafte Aufmerksamkeit. [Quelle: nds.de/ übersetzt, S.Tober] JWD

Und wenn man sich das klar macht, erkennt man auch, dass die Rede wohl bedeutend wichtiger ist, als die Zyniker meinen.

Zunächst zum Wahrheitsgehalt: Mr. Obama zeichnete ein beunruhigendes - und leider nur zu zutreffendes - Bild eines Amerikas, das seine eigenen Ideale aus den Augen verliert, eines Landes, das einmal das der unbegrenzten Möglichkeiten war und sich jetzt in eine Klassengesellschaft verwandelt. Nicht nur haben wir eine ständig wachsende Kluft zwischen einer reichen Minderheit und dem Rest des Landes; Auch die Aufstiegsmöglichkeiten verringern sich, so sagte er, und es wird immer schwieriger für Arme und auch für die Mittelschicht, gesellschaftlich aufzusteigen. Er stellte eine Verbindung her zwischen der wachsenden Ungleichheit und den sinkenden Aufstiegschancen und erklärte, Lebensgeschichten wie die des Horatio Alger gäbe es nur noch selten, und zwar gerade deshalb, weil die Reichen und der Rest jetzt so weit auseinander lägen.

Völliges Neuland ist das nun nicht für Mr. Obama. Interessant an seiner Rede fand ich aber, was er über die Ursachen der wachsenden Ungleichheit zu sagen hatte. Bei uns ist die Klasse der Politiker und Pundits* weitgehend noch immer der Auffassung, die wachsende Ungleichheit, soweit sie denn überhaupt ein Thema ist, habe damit zu tun, dass es den Arbeitnehmern an den richtigen Fähigkeiten und adäquater Ausbildung mangele.

Der Präsident scheint jetzt aber progressive Argumente zu übernehmen, dass nämlich Ausbildung bestenfalls einer von vielen ausschlaggebenden Punkten ist, und dass Amerikas wachsende Klassenunterschiede zum Großteil politische Entscheidungen widerspiegeln, wie etwa das Versäumnis, den Mindestlohn im Einklang mit Inflation und Produktivität anzuheben. Und weil der Präsident bereit war, die Schuld für die wachsende Ungleichheit weitgehend einer falschen Politik zuzuschreiben, zeigte er sich auch mehr als in der Vergangenheit offen für Möglichkeiten, den Kurs des Landes zu ändern, eine Anhebung des Mindestlohns, die Wiederbelebung der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften und die Stärkung, nicht die Schwächung des sozialen Sicherheitsnetzes eingeschlossen. Und dann gab es noch dies: “Was unseren Staatshaushalt angeht, so sollten wir nicht in der schalen Debatte von vor zwei oder drei Jahren stecken bleiben. Ein unerbittlich wachsendes Chancendefizit ist eine größere Gefahr für unsere Zukunft als das schon rapide sinkende Haushaltsdefizit.

Endlich! Unsere politische Klasse war jahrelang von einem Pseudoproblem besessen - von der Besorgnis über Schulden und Defizite, die nie eine echte Bedrohung für die Zukunft unseres Landes darstellten - und zeigte keinerlei Interesse für Arbeitslosigkeit und stagnierende Löhne. Mr. Obama, das muss leider gesagt werden, ist diesem Ablenkungsmanöver aufgesessen. Jetzt aber kommt er in Bewegung.

Aber die Frage ist, macht das auch nur den geringsten Unterschied? Die allgemeine Ansicht der Pundits ist derzeit, dass Mr. Obamas Präsidentschaft gestrandet ist, und dass er selbst inzwischen irrelevant ist. Das ist natürlich Unsinn. Tatsächlich ist das Unsinn in zumindest dreierlei Hinsicht. Zunächst einmal hat diese derzeitige allgemeine Ansicht viel mit Hochrechnungen aus dem chaotischen Start von Obamacare zu tun und mit der Annahme, dass in den nächsten drei Jahren alles so weiter gehen wird. Das wird es aber nicht. Heal thcare.gov funktioniert inzwischen schon viel besser, immer mehr Leute schreiben sich ein, und der ganze Schlamassel verschwindet schon langsam im Rückspiegel.

Und zweitens tritt Mr. Obama nicht zur Wiederwahl an. Jetzt muss er nicht an seinen Umfragewert en, sondern an dem von ihm Erreichten gemessen werden, und seine Gesundheitsreform, die eine wesentliche Stärkung des amerikanischen sozialen Sicherheitsnetzes darstellt, ist eine enorme Leistung. Er wird als einer unserer bedeutendsten Präsidenten dastehen, wenn er diese Leistung verteidigen und auch alle Versuche vereiteln kann, andere Teile des Sicherheitsnetzes wie etwa Food Stamps zu zerstören. Und wenn er überzeugend und stichhaltig dafür eintritt, dass wir in diesen Zeiten der wachsenden Ungleichheit ein besseres Sicherheitsnetz brauchen, um Chancen offen zu halten, dann ist das schon eine gute Vorbereitung für eine solche Verteidigung.

Und schließlich sind Ideen wichtig, auch wenn sie nicht über Nacht in Gesetze umgewandelt werden können. Der falsche Kurs in unserer Wirtschaftspolitik - unsere Versessenheit auf Verschuldung und “Berechtigungen”, obwohl wir doch auf Arbeitsplätze und Berufschancen hätten achten sollen - basierte natürlich zum Teil auf der Macht reicher Interessengruppen.

Aber es war nicht nur reine Macht. Die Haushaltszeterer wurden auch von einer Art ideologischen Monopols begünstigt: Etliche Jahre lang galt man in Washington nicht als seriös, wenn man Simpson und Bowles nicht vergötterte. Jetzt aber durchbricht der Präsident der Vereinigten Staaten das, und endlich klingt er nach dem Progressiven, den seine Anhänger damals im Jahr 2008 zu unterstützen glaubten. Das wird die Diskussion verändern - und, so denke ich, schließlich auch die Politik. Glauben Sie also nicht den Zynikern . Dies war eine bedeutende Rede eines Präsidenten, der noch immer sehr viel verändern kann.

Link zum Originaltext bei ' nds.de ' (PDF) ..hier


*) Pundit: das gelehrte Haus, der gelehrte Brahmane


 
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