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08.07.2014 21:00
Deutsche Eliten setzen auf aggressivere Außenpolitik,
Militarisierung und Krieg
Die deutsche Außenpolitik setzt nicht erst seit den
Geschehnissen in der Ukraine, die unter anderem zu einer
offenen Unterstützung
faschistischer Kreise durch deutsche Regierungsvertreter zum Ziele der
Übernahme
der Ukraine in den europäischen Einflussbereich führten, auf Militarisierung und
„Bereitmachung“ für den Krieg. Bereits 1992 erklärte der damalige
Verteidigungsminister Volker Rühe in einem
Spiegel-Interview die planmäßige Art
und Weise [PDF - 1.2 MB], mit der die wiedervereinigte Bevölkerung Deutschlands
auf kommende Kriege eingestimmt werden solle: “Deswegen müssen wir Schritt für
Schritt vorgehen. [Quelle: nachdenkseiten.de] JWD
Es geht auch nicht darum, die Soldaten, sondern die ganze Gesellschaft auf die
neuen Aufgaben vorzubereiten. Bei Blauhelm-Einsätzen ist das schon gelungen:
Zwei Drittel der Bevölkerung stimmen zu.” Inzwischen
fordert der amtierende
Bundespräsident Gauck bereits in aller Deutlichkeit, Deutschland müsse endlich
noch “entschlossener” vorgehen, um den globalen “Ordnungsrahmen … zu formen” –
woraufhin die BILD umgehend jede Kritik hieran verunglimpft -, während die
Bundeswehr längst schon offen dafür
wirbt, zur Sicherung deutscher Handelswege
verstärkt das Militär einzusetzen. Für die Nachdenkseiten sprach Jens
Wernicke mit Horst Teubert, Geschäftsführer und Redakteur von
german-foreign-policy.com, einem Nachrichtenportal für Informationen zur
deutschen Außenpolitik.
Herr Teubert, Sie beobachten seit vielen Jahren die Entwicklungen der
deutschen Außenpolitik und konstatieren aktuell eine gezielte
Eliten-Kampagne
mit dem Ziel einer noch aggressiveren Außen- und Sicherheitspolitik, die sich um
die Figur unseres Bundespräsidenten rankt. Worum geht es genau?
Nun, Gauck fordert seit seiner Rede zum deutschen Nationalfeiertag im Oktober
2013 immer wieder, Deutschland müsse stärker als bisher in der internationalen
Politik mitmischen, und dazu seien eben auch im Fall der Fälle neue Einsätze der
Bundeswehr unumgänglich. Er hat zwar auch schon vor der erwähnten Rede in
Ansätzen so argumentiert, aber seit dem Herbst vergangenen Jahres und ganz
besonders seit seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz ist diese
Forderung stark in den Vordergrund gerückt.
phoenix: Rede von Joachim Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz am
31.01.2014
Ebenfalls im Oktober 2013 haben zudem die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)
und der German Marshall Fund ein gemeinsames Papier veröffentlicht, das die
Ergebnisse eines einjährigen Diskussionsprozesses von rund 50 Personen aus dem
außenpolitischen Establishment der Bundesrepublik wiedergibt und ebenfalls auf
stärkere außenpolitische Aktivitäten dringt, Militärinterventionen inklusive. In
dieses Projekt sind sowohl der Planungsstab des Auswärtigen Amts als auch
Ministerialbeamte, Mitarbeiter von Think-Tanks und NGOs, etwa Amnesty
International, sowie Bundestagsabgeordnete von der Union bis zur Linkspartei,
hier namentlich Stefan Liebich, Wissenschaftler und Journalisten eingebunden
gewesen.
Dieses Papier – sein Titel lautet: „Neue Macht. Neue Verantwortung“ [PDF - 259
KB] – ist im außenpolitischen Establishment breit promotet worden. Und über
Interviews und andere Medienbeiträge wird seither vor allem die zentrale
Forderung an die Öffentlichkeit getragen, Deutschland müsse in der
internationalen Politik stärkere Aktivitäten entfalten, bei Bedarf eben auch
militärische – ganz wie auch Gauck es formuliert, auf den jetzt auch viele aus
dem Establishment dankbar Bezug nehmen.
Gauck ist hier also nicht das Sprachrohr oder die Marionette der Eliten, sondern
vertritt von sich aus derlei bellizistischen Kurs?
Der Bundespräsident ist zweifellos mittendrin in den deutschen Eliten, er gehört
zu ihnen. Ich würde ihm deswegen jedoch nicht absprechen wollen, dass er aus
eigener Überzeugung für eine aggressivere Außenpolitik eintritt, Militäreinsätze
inklusive.
Wie eng vernetzt das ganze Milieu aber auch ist, das kann man am Beispiel von
Thomas Kleine-Brockhoff sehen, dem damaligen „Senior Director for Strategy“ des
German Marshall Fund und früheren ZEIT-Redakteur, den Gauck im August 2013 zum
Chef des Planungsstabs im Bundespräsidialamt und zu seinem Redenschreiber
gemacht hat. Kleine-Brockhoff gehört zu den rund 50 Personen, die das Papier
„Neue Macht. Neue Verantwortung“ erarbeitet haben, er ist also in die Debatte
eingebunden gewesen, und wenn man dem ZEIT-Korrespondenten
Jochen Bittner
glauben darf, der ebenfalls beteiligt war, hat Kleine-Brockhoff das Projekt
sogar mit angestoßen.
Mit diesem Papier ist gewiss nicht im Detail, aber sicherlich in den großen
Zügen ein breiter Konsens hergestellt worden, den die Teilnehmer des Projekts
und ihr Umfeld jetzt nach außen tragen. Dass Gauck sich an dieser PR-Offensive
beteiligt, ist natürlich für die Beteiligten sehr günstig.
Und wo kommt diese Stimmung „im Establishment“, wie Sie sie nennen und die auf
Krieg etc. setzt, her? Worum geht es welchen Kreisen genau?
Ich denke, das hat etwas mit den großen weltpolitischen Umbrüchen zu tun, die
gegenwärtig zu beobachten sind. Die USA, bislang die dominierende Weltmacht,
haben hochoffiziell den „pivot to Asia“ ausgerufen, die Verlagerung ihres
weltpolitischen Schwerpunkts in die Asien-Pazifik-Region also, die unglaublich
boomt, die aber auch Schauplatz der US-Versuche ist, das erstarkende China nicht
zu weit aufsteigen zu lassen.
Der Machtkampf gegen Beijing bindet Washingtons Energien dabei in zunehmendem
Maß, die Vereinigten Staaten beginnen ihre Kräfte dort zu konzentrieren.
Zugleich plädieren starke Stimmen in den USA dafür, Deutschland und die EU
stärker zur Kontrolle vor allem des nördlichen Afrika und des Mittleren Ostens
heranzuziehen – quasi zur Entlastung der eigenen Kapazitäten. Das bietet
natürlich aus Sicht des deutschen Establishments die hochattraktive Chance,
durch die Übernahme neuer Aufgaben und Funktionen selbst weltpolitisch
aufzusteigen und, wie es manche formulieren, perspektivisch „auf Augenhöhe mit
den USA“ zu kommen.
Diese „Chance“ – wenn man es denn als Chance bezeichnen will, ich halte das
Ganze für hochgefährlich – bietet sich genau jetzt und kommt in dieser Form
vielleicht nie wieder. Ich habe den Eindruck, dass das eine wichtige Rolle für
die aktuell doch sehr expansive Stimmung spielt.
Wie wird diese Stimmung denn aber „gemacht“ – und vor allem: Wie um alles in der
Welt ist es möglich, dass immer mehr politische Parteien und Institutionen
diesem „Dogma“ des „Mehr-Verantwortung-Übernehmen-Müssens“ folge leisten?
Inzwischen sind die Grünen mit ihrer Böll-Stiftung wohl ganz
vorne mit dabei,
und auch der Anti-Kriegs-Kurs der Linkspartei ist zunehmend
in Auflösung
begriffen …
Gute Frage… Dass Stimmung gemacht wird und wie sie gemacht wird, das kann man
gut sehen. Gauck ist da natürlich ein zentraler Aktivposten, seine Äußerungen
finden ja qua Amt herausragende Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Die Medien
haben zudem eine tragende Funktion, und das liegt beileibe nicht nur an
denjenigen Journalisten, die an dem erwähnten SWP-Projekt teilgenommen haben.
Der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger hat in seiner letztes Jahr
veröffentlichten Dissertation nachgewiesen, dass die Außenpolitik-Redaktionen
führender deutscher Medien eng in transatlantische Eliten-Netzwerke eingebunden
sind und dass sich dies auch in ihren Texten widerspiegelt. Die Parteien – nun,
man muss schlicht und einfach konstatieren, dass sämtliche Bundestags-Parteien
sich für den expansiven Konsens geöffnet haben, inzwischen – mit Blick auf ihre
Klientel natürlich verbal recht vorsichtig – auch die Spitze der Linkspartei.
Aus der Euro-Krise ist Deutschland als unbestrittene Hauptmacht der EU
hervorgegangen; diejenigen, die sich anschicken, die Politik dieses
Kraftzentrums zu gestalten, wollen offensichtlich alle Optionen nutzen, die
ihnen nun zur Verfügung stehen. Das ist simple Machtpolitik.
ZDF: Neues aus der Anstalt entlarvt Kriegspropaganda-Netzwerk deutscher Medien
Ich muss ja ein wenig an Noam Chomskys „Manufacturing Consent“ denken… Da wird
ja offenbar über Netzwerke, Bündnisse, Reputationszu- oder -aberkennung ein
regelrechter „Common Sense“ innerhalb der ökonomischen und politischen Klasse
forciert… Über welche Kreise und Netzwerke organisiert sich derlei denn konkret?
Eine pauschale Antwort kann man darauf kaum geben, aber vielleicht ein Beispiel.
Eine wichtige Funktion hat sicherlich die Bundesakademie für Sicherheitspolitik
in Berlin. Sie führt zum Beispiel jedes Jahr ein „Seminar für
Sicherheitspolitik“ durch. Das zieht sich jeweils über ein halbes Jahr hin;
teilnehmen dürfen 25 handverlesene Personen aus einflussreicher Stellung in
Politik, Ministerialbürokratien, Wirtschaft und anderen Institutionen; es haben
auch schon Gewerkschafter daran teilgenommen. Man besucht gemeinsam das
Kanzleramt und diverse Ministerien, absolviert Studienreisen nach Washington,
Moskau oder Beijing und anderswohin, wird von Insidern teils aus den innersten
Machtzirkeln informiert und instruiert, darf sich dann – zum Glück nur auf dem
Papier – an „Krisenlösungen“ in weltpolitischen Konflikten versuchen und so
weiter.
Nach Abschluss des Seminars bleiben die Teilnehmer idealerweise informell in
Kontakt. Die Bundesakademie unterstützt die Vernetzung mit einer
Internet-Studienplattform, sie organisiert darüber hinaus einen „Crashkurs für
Neulinge“, der sich an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von
Bundestagsabgeordneten richtet, sie führt Veranstaltungen „unter drei“ durch –
„unter drei“ ist im journalistischen Fachjargon der Ausdruck für
Hintergrundgespräche, in denen man tatsächlich oder angeblich exklusive
Informationen erhält, die man aber nicht zitieren darf; auf jeden Fall darf man
sich hinterher stolz als Teil des kleinen Kreises der „Eingeweihten“ wähnen. Das
sind attraktive Angebote, die letztlich darauf abzielen, in Berlin eine mehr
oder weniger verschworene „strategic community“ zu etablieren, wie es sie in
imperialen Staaten mit einem nicht durch Weltkriegsniederlagen gebrochenen
außenpolitischen Establishment gibt.
Ein Beispiel für einen breiteren Kreis von Multiplikatoren wären die parteinahen
Stiftungen, die ihren Parteien ja in der Regel brav folgen, jedenfalls in den
zentralen Linien der Außenpolitik. Sie dringen inzwischen ebenfalls auf eine
aggressivere Außen- und Militärpolitik, auch diejenigen, die immer noch oft mit
einer linksliberalen Politik identifiziert werden, etwa die von Ihnen bereits
angesprochene Heinrich-Böll-Stiftung, die in einem als „Reader“ [PDF - 331 KB]
bezeichneten Papier richtig harte Positionen zur Debatte stellt, etwa die
Forderung nach Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats nach dem Modell des
US-amerikanischen National Security Council. Oder auch die
Friedrich-Ebert-Stiftung, die ein Papier mit dem Titel „Die deutsche
Sicherheitspolitik braucht mehr Strategiefähigkeit“ [PDF - 1.5 MB]
veröffentlicht hat. Darin machen bereits die Überschriften Tenor und Intention
deutlich, etwa: „Eine Kultur der Zurückhaltung kann Strategiefähigkeit nicht
ersetzen“ etc.
Und diese expansive Strategie wird in gewissen Kreisen seit wann genau verfolgt?
Unmittelbar seit der Wiedervereinigung? Ich denke da an den Jugoslawien-Krieg
und die eingangs zitierten Worte von Rühe….
1990 ist ganz sicherlich ein Wendepunkt gewesen; seitdem ist klar, dass die
vergrößerte Bundesrepublik zumindest das ökonomische und politische Potenzial
zur Vormacht Europas und mit Hilfe der EU vielleicht auch zur Weltmacht hat. Von
einem Weltmachtpotenzial der EU hat der langjährige Außenpolitik-Chef der
Bertelsmann-Stiftung Werner Weidenfeld ja immer wieder gesprochen. Rühe hat das
Ziel, offensiver zu werden, 1992 in der Tat deutlich ausgedrückt. Bonn und
später Berlin sind dann schrittweise vorgegangen. Zunächst hat man etwa nach und
nach den Einsatz der Bundeswehr in Kriegen durchgesetzt. Auf wirtschaftlicher
Ebene sind die deutschen Exporte und auch deutsche Auslandsinvestitionen ganz
massiv gefördert worden; das hat nicht nur Profite, sondern durchaus auch
Einfluss gebracht.
Die Jugoslawien-Kriege haben Belgrad als Machtfaktor ausgeschaltet, das
traditionell als potenzieller Widersacher Deutschlands im Südosten galt; die
EU-Osterweiterung hat gezielt Deutschlands strategische Stellung als Macht in
der Mitte der erweiterten Union gestärkt. Erinnern Sie sich: Frankreich stand
beidem zunächst, sagen wir mal: sehr kritisch gegenüber, eben weil absehbar war,
wer der große Gewinner sein würde und wer nicht.
Der nächste Schritt ist 2008/2009 mit der „Östlichen Partnerschaft“ eingeleitet
worden, zu der ja bekanntlich die Assoziierungsabkommen mit der Ukraine,
Georgien und Moldawien gehörten; all dies erweitert speziell den deutschen
Einfluss in Richtung Osten weiter – man sieht’s ja: Wenn’s ernst wird, dann
verhandelt mit Russland und der Ukraine nicht Ashton für die EU, sondern
Steinmeier, aller Europäisierungs-Lyrik zum Trotz. Und jetzt gehen die Pläne
eben noch weiter – siehe Gauck, das zitierte SWP-Projekt und so weiter, da geht
es um das nördliche Afrika – etwa Mali -, um Nah- und Mittelost. Und dafür
braucht man auf jeden Fall auch Militär – beileibe nicht nur, aber eben auch.
Und welche Rolle spielt der Politologe Münkler, der Gauck aktuell medial
sekundiert und dabei linke Kritik an dessen Parolen als „Stechschrittpazifismus“
von links diskreditiert, in diesem Ensemble?
Münkler ist Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität, publiziert viel
und gilt als einflussreicher Regierungsberater. Er gehört dem Beirat der
Bundesakademie für Sicherheitspolitik an, gemeinsam übrigens mit Klaus-Dieter
Frankenberger und Stefan Kornelius, den Außenpolitik-Chefs der Frankfurter
Allgemeinen respektive der Süddeutschen Zeitung. Ihm werden aber auch darüber
hinaus exklusive Zugänge zu wichtigen Schaltstellen in Berlin nachgesagt.
Münkler hat der „Welt“ mal berichtet, er sei in der zweiten Amtszeit
Schröder-Fischer vom damaligen Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier
eingeladen worden, um intern darüber zu diskutieren, wie man der Agenda 2010 mit
geschickter „Kommunikation“ Akzeptanz verschaffen könne. Das sei schiefgegangen,
gibt die „Welt“ ihn wieder; Münkler habe daraufhin sein Buch „Die Deutschen und
ihre Mythen“ publiziert. Sein Fazit dazu möchte ich wörtlich aus der „Welt“
zitieren:
„Heute würde ich sagen: Wir müssen eine große Erzählung finden. Wir müssen ein
mosaisches Versprechen entwickeln: Ihr müsst in die Wüste rein, aber ihr werdet
ins gelobte Land kommen.“
Über die Debatte um die Schuld am Ersten Weltkrieg hat Münkler übrigens einmal
gesagt, man könne schlecht eine führende Rolle in der europäischen Politik
spielen, wenn man ständig ein schlechtes Gewissen wegen früherer Kriege haben
müsse. Man müsste ihn mal fragen, ob die Überlegung ihn motiviert hat, seinen
neuen Wälzer über den Ersten Weltkrieg zu schreiben.
Herr Münkler hat ja bereits vor Längerem publizistisch darauf aufmerksam
gemacht, dass
die Ablehnung der Demokratie bei den Eliten im Lande zunehmend an
Zuspruch gewinne… Wie passt das in den aktuellen Diskurs?
Also, Münkler hat damals darauf hingewiesen, dass wegen der sich verschärfenden
globalen Konkurrenz Hinweise aus der Wirtschaft kämen, man fühle sich gegenüber
China im Nachteil, weil dort alles sehr schnell geregelt werde, während hier
jede erforderliche oder gewünschte Neuregelung erstmal durch die Instanzen
müsse, was kostbare Zeit vergeude. Wenn eine aggressivere Außenpolitik die
globalen Rivalitäten zuspitzt, können leicht auch politische „Zwänge“ zu raschem
Handeln entstehen, die sich mit demokratischen Verfahren nicht so gut vertragen.
Nicht umsonst wird denn auch immer wieder gefordert, den Parlamentsvorbehalt bei
Bundeswehr-Einsätzen einzuschränken; dafür plädiert übrigens auch ein Autor in
dem erwähnten „Reader“ der Böll-Stiftung. Und man sollte nicht vergessen: In
einigen Bereichen sind grundlegende demokratische Rechte innerhalb der EU
inzwischen faktisch aufgehoben worden. Die Spardiktate in der Euro-Krise, die
Aktivitäten der EU-Troika sind demokratisch nicht legitimierte Eingriffe von
außen in nationale Hoheitsrechte der verschuldeten EU-Staaten. Darüber wird viel
zu wenig gesprochen.
Apropos Demokratie: Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass 60 Prozent der Bevölkerung
sich gegen eine aggressivere Außenpolitik aussprechen und dafür plädieren,
Deutschland solle sich in weltpolitischen Krisen „eher zurückhalten“. Für mehr
deutsche Militäreinsätze oder für mehr Waffenlieferungen an Verbündete sprechen
sich hingegen nur 13 Prozent aus. Nun hat das außenpolitische Establishment im
Bundestag noch jeden Bundeswehr-Einsatz durchbekommen, den es wollte; seine
aktuellen Ziele sind aber mit der demokratischen Mehrheitsmeinung nicht wirklich
vereinbar.
Und wie ist die ganze Ukraine-Entwicklung in diesem Kontext zu interpretieren?
Es ist ja augenscheinlich, dass hier unter westlicher Führung eine
Restauration
der Oligarchen sondergleichen organisiert wird, die zugleich eine
institutionelle
Verzahnung zwischen ukrainischen und westlichen Eliten
sicherstellt…
Der Konflikt um die Ukraine ist ja in der Form, wie er sich entwickelt hat, ein
Ergebnis dessen, dass Deutschland und die EU das Assoziierungsabkommen
durchsetzen wollten, ohne dabei auf grundlegende russische Interessen Rücksicht
zu nehmen. Es ging darum, nach der EU-Osterweiterung einen nächsten Ring von
Staaten direkt an der russischen Grenze in aller Form an die EU anzubinden; dazu
gehört nicht nur die ökonomische Anbindung, sondern etwa auch die außen- und
militärpolitische: In den Assoziierungsabkommen ist festgelegt, dass auf diesen
Feldern ebenfalls eine Annäherung erreicht werden soll, und damit ist natürlich
nicht gemeint, dass die EU sich der ukrainischen Außen- und Militärpolitik
annähert.
Tatsächlich stellt die Ukraine bereits Soldaten für die Battle Groups der EU und
für EU-Interventionen zur Verfügung, Georgien ebenfalls. Es geht also um eine
Erweiterung des Hegemonialgebiets und der Kapazitäten der EU. Dass das in der
Ukraine nicht ohne die Oligarchen gehen würde, war eigentlich von vornherein
klar, denn die haben dort die tatsächliche Macht inne und werden sie auch nicht
freiwillig aus der Hand geben. Dass Steinmeier jetzt, wenn er in die Ukraine
fliegt, gelegentlich auch Rinat Achmetow persönlich treffen muss, der kein
politisches Amt hat, sondern einfach nur der reichste Oligarch des Landes und in
der Ostukraine tonangebend ist, das ist nur eine logische Folge der Übernahme
der Ukraine in den Hegemonialbereich der EU.
Auch hier zeigt sich, dass durchaus die Bereitschaft besteht, mit Kräften zu
kooperieren, deren undemokratische Machenschaften offensichtlich sind – so
offensichtlich übrigens, dass sie die Menschen im November 2013 auf den Kiewer
Maidan trieben. Hauptmotiv der ersten Proteste dort waren die undemokratischen
Schiebereien der ukrainischen Oligarchie.
Bundestags-TV: Heftige Auseinandersetzung zwischen Dag(delen und Göring-Eckardt
zur Ukraine
Aber noch einmal zu Gauck. Der Tenor eines kürzlich auf den Nachdenkseiten
erschienenen
Kommentars lautete, man müsse doch einmal die Frage in den Raum
stellen, wieso die Rückkehr zum Krieg als Mittel der Politik ausgerechnet als
deutsche „Normalität“ angestrebt werden solle.
Der Frage würde ich mich absolut anschließen. Diejenigen, die eine aggressivere
Außenpolitik und mehr Militäreinsätze fordern, sprechen immer von
„Verantwortungsübernahme“ – aber übernimmt man Verantwortung, wenn man aus der
Geschichte keine Lehren zieht?
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Horst Teubert studierte Soziologie in Heidelberg und Marburg, arbeitet als
Journalist und beschäftigt sich seit den 1990er Jahren wissenschaftlich und
publizistisch mit zahlreichen Feldern der deutschen Außenpolitik.
Link zum Originaltext bei ' nachdenkseiten.de '
..hier
Passend zum
Thema:
03.02.2014 14:45
Verantwortung sagen und Krieg meinen - Gauck predigt
gegen Drückebergerei
Aus der einstigen Wehrkundebegegnung ist heute die MSC (Munich Security
Conference) geworden. Geführt von transatlantischen Netzwerkern, die meist im
Dienste der Wallstreet stehen, veranstaltet die MSC gemeinnützige GmbH Tagungen
von internationalen Sicherheitspolitikern, Militärs und Rüstungsindustriellen,
um gemeinsame Strategien zu entwickeln. Nationalstaaten und deren demokratisch
gewählte Regierungen können so von dieser Last weitgehend befreit werden.
JWD ..weiterlesen
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