16.10.2019 16:00 Alles, was man vor Ihnen über die türkische
Operation "Quelle des Friedens" verbirgt (1/3)
Die Genealogie der Kurdenfrage
Die einhellige internationale Gemeinschaft verurteilt fortlaufend die
Militäroffensive in Rojava und schaut hilflos zu, wie zehntausende Kurden, die
von der türkischen Armee verfolgt werden, fliehen. Niemand greift jedoch ein,
weil man denkt, dass angesichts der von Frankreich geschaffenen unlösbaren
Situation und der von kurdischen Kämpfern und Zivilisten begangenen Verbrechen
gegen die Menschlichkeit, ein Massaker vielleicht der einzig mögliche Weg zur
Wiederherstellung des Friedens ist. [Quelle:
voltairenet.org] JWD
Von Thierry Meyssan | Voltaire
Netzwerk | Damaskus (Syrien) | 15. Oktober 2019
Quelle: voltairenet.org (verlinkt)
Zehntausende kurdische Zivilisten fliehen vor
der türkischen Armee,
verlassen das von ihnen eroberte Land, das sie hofften,
zu ihre Heimat zu machen.
lle Kriege beinhalten einen Vereinfachungsprozess: Es gibt nur zwei Lager auf
einem Schlachtfeld und jeder muss das Seine wählen. Im Nahen Osten, wo es eine
unwahrscheinliche Menge von Gemeinschaften und Ideologien gibt, ist dieser
Prozess besonders erschreckend, da keine der Besonderheiten dieser Gruppen mehr
zum Ausdruck gebracht werden kann und jeder sich mit anderen verbünden muss, die
er missbilligt.
Wenn ein Krieg zu Ende geht, versucht jeder, die Verbrechen, die er – ob
freiwillig oder nicht - begangen hat, zu vertuschen und manchmal auch
unangenehme Verbündete verschwinden zu lassen, die er vergessen möchte. Viele
versuchen dann, die Vergangenheit wiederaufzubauen, um sich selbst in gutem
Licht erscheinen zu lassen. Genau das erleben wir heute mit der türkischen
Operation "Quelle des Friedens" an der syrischen Grenze und den unglaubwürdigen
Reaktionen, die sie hervorruft.
Um zu verstehen, was vor sich geht, reicht es nicht aus zu wissen, dass alle
lügen. Man muss auch herausfinden, was jeder verbirgt und es akzeptieren, auch
wenn man dann feststellt, dass diejenigen, die man zuvor bewunderte, tatsächlich
Schurken sind.
Genealogie des Problems
Glaubt man dem europäischen Diskurs, könnte man meinen, dass die bösen Türken
die netten Kurden ausrotten werden, die die klugen Europäer trotz der feigen
US-Amerikaner zu retten versuchen. Keine dieser vier Mächte spielt die Rolle,
die man ihr unterstellt.
Das aktuelle Ereignis muss zunächst im Kontext des "Krieges gegen Syrien"
betrachtet werden, von dem er nur eine Schlacht ist, und in den Kontext der
"Umgestaltung des erweiterten Nahen Ostens", von der der Syrien-Konflikt nur
eine Etappe ist. Anlässlich der Anschläge vom 11. September 2001 passten
US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und sein neuer Direktor für die „Force
Transformation“, Admiral Arthur Cebrowski, die Strategie des Pentagons dem
Finanzkapitalismus an. Sie beschlossen, die Welt in zwei Zonen zu unterteilen:
eine, die die der wirtschaftlichen Globalisierung sein würde, und die andere,
die als bloße Rohstoffreserve angesehen würde. Die US-Armeen sollten damit
beauftragt werden, die staatlichen Strukturen in diesem zweiten Teil der Welt zu
beseitigen, damit niemand dieser neuen Arbeitsteilung widerstehen kann [1]. Sie
begannen mit dem "Erweiterten Nahen Osten".
Es war geplant, die Arabische Republik Syrien nach Afghanistan und dem Irak im
Jahr 2003 (Syrian Accountability Act) zu zerstören, aber verschiedene Zufälle
drängten diese Operation auf 2011 zurück. Der Angriffsplan wurde angesichts der
britischen Kolonialerfahrung in der Region neu organisiert. London riet, die
Staaten nicht vollständig zu zerstören, einen minimalen Staat im Irak
wiederherzustellen und Marionettenregierungen zu behalten, dazu in der Lage, das
tägliche Leben der Völker zu verwalten. Basierend auf der "Großen arabischen
Revolte" von Lawrence von Arabien, die die Briten 1915 organisierten, war das
Ziel, einen "arabischen Frühling" zu organisieren, der die Muslimbruderschaft an
die Macht bringt anstelle der Wahhabiten [2]. Die prowestlichen Regime Tunesiens
und Ägyptens wurden zuerst gestürzt und dann wurden Libyen und Syrien
angegriffen.
Zunächst weigerte sich die Türkei, ein NATO-Mitglied, am Krieg gegen Libyen
teilzunehmen, das ihr erster Kunde war, und dann auch an dem gegen Syrien, mit
dem sie einen gemeinsamen Markt geschaffen hatte. Der französische Außenminister
Alain Juppé hatte dann die Idee, zwei Dinge mit einem Schlag zu erledigen. Er
schlug seinem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu vor, gemeinsam die
Kurdenfrage im Gegenzug für den Beitritt der Türkei zum Krieg gegen Libyen und
Syrien zu lösen. Die beiden Männer unterzeichneten ein Geheimprotokoll, das die
Schaffung eines Kurdistans nicht in den kurdischen Gebieten der Türkei, sondern
in den aramäischen und arabischen Gebieten Syriens vorsah. [3]. Die Türkei, die
ausgezeichnete Beziehungen zur irakischen Regionalregierung Kurdistans
unterhält, wollte die Schaffung eines zweiten Kurdistans, weil sie an das Ende
der kurdischen Unabhängigkeitsbewegung auf ihrem eigenen Boden denkt.
Frankreich, das 1911 kurdische Stämme rekrutiert hatte, um arabische
Nationalisten zu unterdrücken, beabsichtigte schließlich, in der Gegend ein
Pseudo-Kurdistan zu schaffen, wie es den Briten gelungen war, eine jüdische
Kolonie in Palästina zu schaffen. Die Franzosen und Türken gewannen die
Unterstützung der Israelis, die bereits das irakische Kurdistan mit dem
Barzani-Clan kontrollierten, der offiziell Mitglied des Mossad war.
Quelle: voltairenet.org (verlinkt)
Hellbraun: das von der King-Crane Kommission entworfene Kurdistan,
bestätigt vonUS-Präsident Woodrow Wilson und 1920 von der
Konferenz von Sèvres verabschiedet.
Die Kurden sind ein nomadisches Volk (das ist die genaue Bedeutung des Wortes
"kurdisch"), das sich im Euphrat-Tal, im Irak, in Syrien und in der Türkei von
heute bewegte. Nicht als Stämme, sondern als Clane organisiert, und bekannt für
seinen Mut, schuf es viele Dynastien, die in der arabischen Welt (einschließlich
der von Saladin dem Prächtigen) und der persischen Welt herrschten, und stellte
verschiedenen Armeen Hilfstruppen zur Verfügung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts
wurden einige von ihnen von den Osmanen rekrutiert, um die nichtmuslimische
Bevölkerung der Türkei, insbesondere die Armenier, zu massakrieren. Bei dieser
Gelegenheit ließen sie sich in Anatolien nieder, während die anderen nomadisch
blieben. Am Ende des Ersten Weltkriegs schuf US-Präsident Woodrow Wilson, gemäß
Paragraph 12 seiner 14 Punkte (Kriegsziele), auf den Trümmern des Osmanischen
Reiches ein Kurdistan. Um das Gebiet einzugrenzen, schickte er die
King-Crane-Kommission vor Ort, während die Kurden das Massaker an den Armeniern
fortsetzten. Die Experten bestimmten ein Gebiet in Anatolien und warnten Wilson
vor den verheerenden Folgen einer Erweiterung oder Verschiebung dieses
Territoriums. Aber das Osmanische Reich wurde von innen durch Mustafa Kemal
gestürzt, der die Republik ausrief und den territorialen durch das
Wilson-Projekt auferlegten Verlust verweigerte. Kurdistan ist schließlich nicht
entstanden.
Ein Jahrhundert lang versuchten die türkischen Kurden, sich von der Türkei
abzuspalten. In den 1980er Jahren begannen die Marxisten-Leninisten der PKK
einen echten Bürgerkrieg gegen Ankara, der hart unterdrückt wurde. Viele flohen
nach Nordsyrien, unter den Schutz von Präsident Hafez al-Assad. Als ihr Anführer
Abdullah Öcalan von den Israelis verhaftet und den Türken übergeben wurde, gaben
sie den bewaffneten Kampf auf. Am Ende des Kalten Krieges wurde die PKK, die
nicht mehr von der Sowjetunion finanziert wurde, von der CIA unterlaufen und
mutierte. Die PKK gab die marxistische Doktrin auf und wurde anarchistisch,
verzichtete auf den Kampf gegen den Imperialismus und stellte sich in den Dienst
der NATO. Die Atlantische Allianz nutzte ihre terroristischen Operationen
ausgiebig aus, um die Impulsivität ihres türkischen Mitglieds einzudämmen.
Außerdem führte die internationale Gemeinschaft 1991 einen Krieg gegen den Irak,
der gerade in Kuwait einmarschiert war. Am Ende des Krieges ermutigte der Westen
die schiitische und kurdische Opposition, gegen das sunnitische Regime von
Präsident Saddam Hussein aufzubegehren. Die Vereinigten Staaten und das
Vereinigte Königreich ließen 200.000 Personen massakrieren, besetzten aber ein
Gebiet des Landes, aus dem sie die irakische Armee verbannten. Sie vertrieben
die Bewohner und brachten dort die irakischen Kurden zusammen. Es war dieses
Gebiet, das nach dem Krieg 2003 wieder dem Irak einverleibt wurde und um den
Barzani-Clan herum zum Irakisch-Kurdistan wurde.
Quelle: voltairenet.org (verlinkt)
Die Rumsfeld/Cebrowski-Generalstabskarte von der " Neugestaltung
des Erweiterten
Nahen Ostens“.
Quelle: “Blood borders - How a better Middle East would look”,
Colonel Ralph
Peters, Armed Forces Journal, June 2006.
Zu Beginn des Krieges gegen Syrien verlieh Präsident Baschar al-Assad kurdischen
politischen Flüchtlingen und ihren Kindern die syrische Staatsbürgerschaft. Sie
stellten sich sofort in den Dienst von Damaskus, um den Norden des Landes vor
ausländischen Dschihadisten zu verteidigen. Aber die NATO erweckte die türkische
PKK wieder zum Leben und schickte sie zur Mobilisierung der Kurden in Syrien und
dem Irak, um ein sehr Großes-Kurdistan zu schaffen, wie es das Pentagon seit
2001 geplant hatte und durch die 2005 durchgesickerte Generalstabskarte von
Oberst Ralph Peters gezeigt wurde.
Quelle: voltairenet.org (verlinkt)
Die nach dem Scheitern des ersten Krieges gegen Syrien veränderte
Karte der
Neugestaltung des “ Erweiterten Nahen Osten“.
Quelle: “Imagining a Remapped Middle East”, Robin Wright,
The New York Times
Sunday Review, September 28, 2013.
Dieses Projekt (das darauf abzielte, die Region aus ethnischen Gründen zu
spalten) entsprach überhaupt nicht dem von Präsident Wilson im Jahr 1919 (zur
Anerkennung des Rechts des kurdischen Volkes) und auch nicht dem der Franzosen
(zur Belohnung von Söldnern). Es war viel zu groß für sie und sie konnten nicht
hoffen, es zu kontrollieren. Auf der anderen Seite begeisterte es aber die
Israelis, die es als eine Möglichkeit sahen, Syrien von hinten einzudämmen. Die
Verwirklichung erwies sich jedoch als nicht möglich. Die USIP, ein mit dem
Pentagon verbundenes "Five Eyes"-Institut, schlug vor, es zu ändern.
Großkurdistan würde zugunsten einer Ausweitung des irakischen Sunnistan
reduziert [4], das einer dschihadistischen Organisation anvertraut werden würde:
dem zukünftigen Daesch.
Die Kurden der YPG, des syrischen Ablegers der PKK, versuchten mit Hilfe der
US-Streitkräfte, einen neuen Staat Rojava zu schaffen. Das Pentagon nutzte sie,
um die Dschihadisten auf das ihnen zugewiesene Gebiet zu beschränken. Es gab nie
einen theologischen oder ideologischen Kampf zwischen der YPG und Daesch, es war
nur eine Rivalität um ein Gebiet, das auf Kosten des Irak und Syriens geteilt
werden sollte. Und übrigens, als das Emirat Daesch zusammenbrach, half die YPG
den Dschihadisten, sich den Al-Kaida-Kräften in Idlib anzuschließen, indem sie
sie ihr "Kurdistan" überqueren ließ.
Die irakischen Kurden des Barzani-Clans waren direkt an der Eroberung des Irak
durch Daesch beteiligt. Nach Angaben der PKK, habe der Sohn des Präsidenten und
Geheimdienstchefs der irakischen kurdischen Regionalregierung, Masrour "Jomaa"
Barzani, am geheimen CIA-Treffen, das diese Operation plante, in Amman am 1.
Juni 2014 teilgenommen. [5]. Die Barzani kämpften nie gegen Daesch. Sie
begnügten sich ihr Territorium zu schützen und schickten sie zur Konfrontation
mit den Sunniten. Schlimmer noch, sie ließen Daesch nicht-muslimische Kurden,
die Yeziden, in der Schlacht von Sindschar, versklaven. Die Geretteten wurden
von türkischen PKK- und syrischen YPG-Kämpfern gerettet, die zum Einsatzort
geschickt wurden.
Am 27. November 2017 hielten die Barzani – mit der alleinigen Unterstützung
Israels – ein Referendum über die Selbstbestimmung im irakischen Kurdistan ab,
das sie trotz offensichtlicher Tricks verloren. In der Wahlnacht war die
arabische Welt fassungslos, als in Erbil eine Flut israelischer Flaggen entdeckt
wurde. Laut dem Magazin Israel-Kurd habe der israelische Ministerpräsident
Benjamin Netanjahu versprochen, im Falle eines Sieges bei dem Referendum,
200.000 israelische Kurden zum Schutz des neuen Staates zu überführen.
Um das Recht auf Selbstbestimmung genießen zu können, muss ein Volk zuerst
vereint sein, was für die Kurden nie der Fall war. Es muss dann auch auf einem
Gebiet leben, in dem es in der Mehrheit ist, was nur in Anatolien seit dem
Völkermord an den Armeniern der Fall war, dann auch im Nordirak seit der
ethnischen Säuberung dank der Flugverbotszone nach der Operation "Wüstensturm"
und schließlich im Nordosten Syriens, seit der Vertreibung der christlichen
Assyrer und Araber. Ihnen dieses Recht heute anzuerkennen, bedeutet, Verbrechen
gegen die Menschlichkeit gutzuheißen.
Thierry Meyssan
[1]
Diese Strategie wurde erstmals erwähnt von Oberst Ralph Peters
in der "Stability, America’s Ennemy", Parameteers 31-4
(US-Heereszeitschrift), Winter 2001. Dann deutlicher dargestellt
für die Öffentlichkeit durch Admiral Cebrowski‘s Assistent in
The Pentagon’s New Map, Thomas P. M. Barnett, Putnam
Publishing Group, 2004. Schließlich veröffentlichte Oberst
Peters die Karte, die der US-Generalstab aufgestellt hat in “Blood
borders - How a better Middle East would look”, Colonel
Ralph Peters, Armed Forces Journal, June 2006.
[2]
Eine große Anzahl von Dokumenten, die bereits 2005 zur Verfügung
stehen, bezeugen die Vorbereitung dieser Operation durch den
MI6. Insbesondere die E-Mails des Auswärtigen Amtes, die der
Whistleblower Derek Pasquill enthüllte. Siehe : Sous nos yeux. Du 11-Septembre à Donald Trump, Thierry
Meyssan, Demi-Lune (2017).
[3]
Die Existenz dieses Geheimprotokolls wurde damals von der
algerischen Presse enthüllt. Syrische Diplomaten haben es mir
ausführlich beschrieben. Leider wurden die Archive in Damaskus
anlässlich eines dschihadistischen Angriffs überstürzt
übersiedelt. Es ist daher derzeit nicht verfügbar, wird aber
nach der Sortierung dieser Archive öffentlich werden.
Übersetzung: Horst Frohlich
| Korrekturlesen : Werner Leuthäusser
Thierry Meyssan: Politischer Berater,
Gründer und Präsident vom Voltaire Netzwerk - Réseau Voltaire. Letztes
französisches Werk: Sous nos yeux - Du 11-Septembre à Donald Trump.
Dieser Beitrag ist unter Lizenz der Creative Commons
(CC BY-NC-ND)
26.09.2017 15:30 Kurdistan: was sich hinter dem Referendum verbirgt
In einer Welt, in der Bilder mehr als die Realität zählen, spricht die Presse
von einem demokratischen Referendum für die Unabhängigkeit vom Irakischen
Kurdistan. Aber abgesehen davon, dass das Referendum verfassungsrechtlich im
ganzen Irak stattfinden müsste und nicht nur im Unabhängigkeitsbereich, wurden
bereits mehrere Millionen nicht-kurdischer Wähler schon aus ihren Häusern
verjagt und können nicht mehr dorthin zurückkehren... [Quelle:
voltairenet.org] JWD
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30.03.2016 01:20 Der Beweggrund der Attentate von Paris und Brüssel
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiß man nicht, wer die Attentate von Paris und
Brüssel in Auftrag gegeben hat. Mehrere Fährten wurden genannt. Indessen wurde
bislang nur die Hypothese einer durch die Türkei veranlassten Operation
gestützt. Thierry Meyssan berichtet über den geheimen Konflikt, der seit fünf
Jahren die Beziehungen zwischen der Europäischen Union, Frankreich und der
Türkei belastet.
[Quelle: voltairenet.org] JWD
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