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28.11.2019  02:00
Bolivien, Labor für eine neue
Destabilisierungsstrategie

Die internationale Presse berichtet mit Vorsicht über die Ereignisse in Bolivien. Sie beschreibt den Sturz von Präsident Evo Morales, erwähnt einen x-ten Staatsstreich, schafft es aber nicht, genau zu bestimmen, was wirklich geschieht. Sie sieht nicht das Entstehen einer neuen politischen Kraft, die in Lateinamerika bisher unbekannt war. Wenn die religiösen Autoritäten des Kontinents nicht sofort ihre Verantwortung übernehmen, kann für Thierry Meyssan nichts die Ausbreitung des Chaos verhindern.  [Quelle: voltairenet.orgJWD

 Von Thierry Meyssan  |  Voltaire Netzwerk  |  Damaskus (Syrien)  |  26. November 2019



Screenshot  |  Quelle: voltairenet.org

Die neue Präsidentin des multinationalen Staates Bolivien schwenkt die "Vier Evangelien" und prangert die "satanischen Riten" der Indianer an. Entgegen den Kommentaren der internationalen Presse greift sie nicht die Indianer als ethnische Gruppe an, die alle Christen sind, sondern erzwingt religiösen Fanatismus.

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m 14. Oktober 2019 sagte Präsident Evo Morales in einem Interview im Fernsehsender GigaVision, er besitze Aufzeichnungen über die Vorbereitung eines Staatsstreichs durch rechtsextreme Persönlichkeiten und ehemalige Militärs, falls er die Präsidentschaftswahlen gewinnt [1].

Es ist jedoch nicht wirklich ein Staatsstreich, sondern ein einfacher Sturz des verfassungsmäßigen Präsidenten, der stattfand. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass das neue Regime in der Lage sein wird, das Land zu stabilisieren. Es ist eine Zeit des Chaos, die beginnt.

Die Unruhen, die seit dem 21. Oktober den Präsidenten, den Vizepräsidenten, den Präsidenten des Senats, den Präsidenten der Nationalversammlung und den Ersten Vizepräsidenten des Senats dazu gebracht haben, nacheinander zu fliehen, haben mit der Amtsübernahme der zweiten Vizepräsidentin des Senats, Jeanine Áñez, am 12. November als Interims-Präsidentin nicht aufgehört. Ihre Partei hat nur vier Abgeordnete und Senatoren von hundertdreißig. Im Gegenteil, die Ernennung einer neuen Regierung ohne indigene Völker veranlasste die Indianer, auf die Straße zu gehen, an Stelle der gedungenen Mörder, die die Morales-Regierung vertrieben haben.

Überall gibt es interethnische Gewalt. Die lokale Presse berichtet über öffentliche Demütigungen, Vergewaltigungen und zählt die Toten.

Obwohl klar ist, dass Präsidentin Áñez von der Armee unterstützt wird, weiß niemand genau, wer seinen Vorgänger vertrieben hat. Es könnte eine lokale Kraft wie eine transnationale Körperschaft oder beides sein. Die Annullierung eines Vertrages zur Ausbeutung von Lithium in großem Umfang könnte ebenso einen Konkurrenten veranlasst haben, in den Sturz des Präsidenten zu investieren.

Nur eines ist sicher: Die Vereinigten Staaten von Amerika, die die Wendung der Ereignisse begrüßen, haben sie nicht provoziert, auch wenn US-Bürger und Beamte wahrscheinlich beteiligt sind, wie der Direktor des russischen Auslandsgeheimdienstes SVR, Sergej Naryschkin, angedeutet hat.

Die Veröffentlichung einer Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen der kolumbianischen Außenministerin Claudia Blum und ihrem Botschafter in Washington, Francisco Santos, in einem Café in der US-Hauptstadt lässt keinen Zweifel aufkommen [2] : US-Außenminister Mike Pompeo ist heute gegen jegliche Intervention in Lateinamerika. Er hat Venezuelas selbsternannten Präsidenten Juan Guaidó bereits im Stich gelassen, womit er das Anti-Maduro-Kolumbien ins Wanken gebracht hat und verweigert jeglichen Kontakt mit den vielen lateinamerikanischen Putschisten.

Es scheint, dass die Ernennung von Elliott Abrams zum US-Sonderbeauftragten für Venezuela nicht nur ein Tauschgeschäft bezüglich der Schließung der Russland-Ermittlungen von Staatsanwalt Robert Mueller war [3], sondern auch ein Mittel, den Neokonservativen in der Verwaltung ein Ende zu setzen. Dieser "Diplomat" verhielt sich so dilettantisch, dass er in wenigen Monaten jede Hoffnung auf eine imperialistische Intervention der USA in Lateinamerika zunichte gemacht hat.

Darüber hinaus ist das US-Außenministerium ein Trümmerfeld: hochrangige Diplomaten kommen, um vor dem Ausschuss des Repräsentantenhauses, der mit seiner Amtsenthebung beauftragt ist, als Zeuge gegen Präsident Trump auszusagen.

Aber wenn es nicht die Trump-Verwaltung ist, die den Ton angibt, wer ist es dann? Offensichtlich sind von den Netzwerken, die von der CIA in den 50er bis 70er Jahren installiert wurden, wirksame Reste verblieben. Vierzig Jahre später sind sie immer noch in vielen lateinamerikanischen Ländern existent und können allein, mit wenig Unterstützung von außen handeln.

Die Schatten der Vergangenheit

 


Screenshot | Quelle: voltairenet.org

Ante Pavelic, Anführer der Ustacha-Miliz, und sein Beschützer, der katholische Erzbischof von Zagreb, Erzbischof Alojzije Stepinac. Ersterer gilt als einer der schlimmsten Verbrecher des Zweiten Weltkriegs, der zweite als ein Glücklicher, wegen seines Kampfes gegen den Kommunismus von Tito.

Als die Vereinigten Staaten beschlossen, die UdSSR einzudämmen, evakuierten der erste Direktor der CIA, Allen Dulles, und sein Bruder, der Außenminister John Foster Dulles, Milizionäre der Achse praktisch überall auf der ganzen Welt, um gegen die kommunistischen Parteien zu kämpfen. Sie wurden in einem Verein der World Anti-Communist League (WACL) zusammengeführt [4], die den "Plan Condor" in Lateinamerika organisierte [5], dazu ausersehen, die Zusammenarbeit zwischen den pro-amerikanischen Regimes zu organisieren und revolutionäre Führer zu ermorden, wo immer sie Asyl suchten.

Der bolivianische Generalpräsident Alfredo Ovando Candia (1965-70) vertraute nach dem Staatsstreich von 1964 dem Nazi-Milizionär Klaus Barbie (dem "Schlächter von Lyon") die Jagd auf den Argentinier Che Guevara an, den er 1967 beseitigen konnte, wie er es 1943 mit dem Führer der französischen Résistance, Jean Moulin getan hatte. Während der Diktaturen von General Hugo Banzer Suarez (1971-78) und Luis Garcia Meza Tejada (1980-81) restrukturierte derselbe Klaus Barbie, unterstützt von Stefano Delle Chiaie (ein Mitglied des Gladio, der den gescheiterten Staatsstreich von Prinz Borghese organisierte), die Polizei und den Geheimdienst.

Nach dem Rücktritt von US-Präsident Richard Nixon haben sich die Vereinigten Staaten jedoch mit dem großen Auspacken der Kommissionen Church, Pike und Rockefeller über die geheimen Aktivitäten der CIA beschäftigt. Die Welt entdeckte nur den Schaum der Wellen, aber das war schon viel zu viel. 1977 ernannte Präsident Jimmy Carter Admiral Stansfield Turner zum CIA-Chef mit der Aufgabe, den Dienst von seinen Achsenländer-Kollaborateuren zu säubern und die pro-US-amerikanischen Regime von "Diktaturen" zu "Demokratie" zu verändern. Daher die Frage: Wie haben Klaus Barbie und Stefano Delle Chiaie die Repression in Bolivien bis August 1981 überwachen können?

Offensichtlich hatten sie es geschafft, die bolivianische Gesellschaft so zu organisieren, dass sie auf die Unterstützung des Weißen Hauses und der CIA verzichten konnten. Sie konnten sich mit der diskreten Hilfe einiger hochrangiger US-Beamter und dem Geld von multinationalen Unternehmen begnügen. Das ist wahrscheinlich die gleiche Art und Weise, wie die Putschisten 2019 gehandelt haben.

Während der antikommunistischen Periode hatte K. Barbie die Niederlassung vieler geflohener Kroaten der Ustacha erleichtert, die wiederum seine Flucht aus Europa ermöglicht hatten. Diese 1929 gegründete Terrororganisation beanspruchte vor allem eine katholische Identität und hatte die Unterstützung des Hl. Stuhls gegen die Sowjets. Während der Zwischenkriegszeit verübte sie zahlreiche politische Morde, unter anderem in Frankreich den des orthodoxen Königs Alexander I. von Jugoslawien. Während des Zweiten Weltkriegs verbündete sie sich mit den Faschisten und den Nazis und bewahrt dabei ihre Charakteristik. Sie massakrierte die Orthodoxen, aber engagierte Muslime. Im völligen Widerspruch zum ursprünglichen Christentum förderte sie eine rassistische Sicht der Welt, ohne Slawen und Juden als vollwertige Menschen zu betrachten [6].

Die Ustacha-Anhänger, einschließlich ihres Anführers Ante Pavelicc, flohen am Ende des Zweiten Weltkriegs aus Europa nach Argentinien, wo sie von General Juan Peron empfangen wurden. Aber einige lehnten seine Politik ab und spalteten sich. Es war also die härteste Gruppe, die nach Bolivien auswanderte [7].


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Für den Neo-Ustacha Luis Fernando Camacho: "Bolivien gehört Christus!"; eine Binsenwahrheit, die niemand in einem Land von 98% Christen abstreitet. Aber worüber spricht er eigentlich?

Die Anhänger der Ustacha in Bolivien

Was auch immer die ethischen Gründe sein mögen, es ist immer schwierig, sich einer Waffe zu entledigen. Es sollte daher nicht überraschen, dass die von Präsident Carter aus der CIA vertriebenen Mitarbeiter trotzdem mit Ronald Reagans Vizepräsident und dem ehemaligen CIA-Direktor George Bush Senior zusammengearbeitet haben. Einige von ihnen bildeten den "Antibolschevik Bloc of Nations" [8] hauptsächlich Ukrainer [9], Balten [10] und Kroaten. All diese Verbrecher sind jetzt an der Macht.



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Konzert einer Neo-Ustacha-Band in Zagreb im Jahr 2007.

Die Anhänger der Ustascha in Bolivien haben die Verbindungen zu ihren Waffenbrüdern in Kroatien aufrechterhalten, insbesondere während des Krieges von 1991-95, in dem sie die christlich-demokratische Partei (HDZ) von Franjo Tudjman unterstützten. In Bolivien gründeten sie die "Union der jungen Kreuzer", eine Miliz, die für ihre Schlägereien und Morde von Aymara-Indianern bekannt ist. Einer ihrer ehemaligen Führer, der Anwalt und Geschäftsmann Luis Fernando Camacho, ist jetzt Vorsitzender des Pro Santa Cruz Civic Committee. Er ist es, der offen die Handlanger anführt, die den Aymara Evo Morales aus dem Land vertrieben haben.

Ebenso scheint es, dass der neue Oberbefehlshaber der Armee, Ivon Patricio Inchausti Rioja, kroatischer Ustacha-Herkunft ist. Er ist derjenige, der das harte Durchgreifen gegen die Indianer mit einem Freibrief der Präsidentin Jeanine Áñez anführt, sie zu töten.

Die Stärke der bolivianischen Ustascha-Anhänger erklärt sich nicht durch ihre Zahl. Sie sind nur eine kleine Gruppe. Dennoch gelang es ihnen, Präsident Morales zu stürzen. Ihre Stärke kommt aus ihrer Ideologie: der Instrumentalisierung der Religion, um Verbrechen zu rechtfertigen. In einem christlichen Land wagt niemand, Menschen zu widerstehen, die behaupten, für Christus zu sein.

Alle Christen, die etwas von der neuen Präsidentin gelesen haben oder sie haben reden hören, wie sie die Rückkehr der Bibel oder der Vier Evangelien in die Regierung ankündigte – sie scheint keinen Unterschied zwischen den beiden Büchern zu machen – und wie sie "die satanischen Riten der Indianer" anprangerte, waren schockiert. Alle glaubten, sie gehöre irgendeiner Sekte an. Nein, sie ist eine fromme Katholikin.

Seit einigen Jahren warnen wir vor den Unterstützern der Rumsfeld/Cebrowski-Strategie im Pentagon, die im karibischen Becken das tun wollen, was sie im Erweiterten Nahen Osten getan haben. Technisch gesehen stand der Umsetzung ihres Planes das Fehlen von Latino-Truppen, die mit der Muslimbruderschaft und Al-Kaida vergleichbar sind, im Wege. Alle Manipulationen liefen auf die traditionelle Opposition von "Liberalen Kapitalisten" gegen "Sozialisten des 21. Jahrhunderts" hinaus. Jetzt nicht mehr. Nun setzt sich eine politische Strömung innerhalb des Katholizismus für Gewalt im Namen Gottes ein. Sie macht das Chaos möglich. Die Latino-Katholiken befinden sich in der gleichen Situation wie die arabischen Sunniten: Sie müssen diese Leute dringend verurteilen, oder sie werden von ihrer Gewalt erfasst werden.
Thierry Meyssan

Übersetzung: Horst Frohlich  |  Korrekturlesen : Werner Leuthäusser

    [1] Bolivie: Morales redoute un coup d’Etat s’il gagne les élections, AFP, 15 novembre 2019.

    [2] Exclusivo: audios de polémica charla entre embajador Francisco Santos y la nueva canciller Claudia Blum, Publimetro Colombia, 20 de noviembre de 2019.

    [3] „Venezuela, Iran: Trump und der Deep State“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Korrekturlesen : Werner Leuthäusser, Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 21. Mai 2019.

    [4] « La Ligue anti-communiste mondiale, une internationale du crime », par Thierry Meyssan, Réseau Voltaire, 12 mai 2004.

    [5] Operación Cóndor, 40 años después. Stella Calloni, Infojus (2015).

    [6] 1823 fragte sich der von der deutschen Romantik beeinflusste Dichter Antun Mihanovic über einen möglichen nichtslawischen Ursprung der Kroaten. Auf der Grundlage dieser romantischen Hypothese theoretisierte Ante Starcevic die Rechtfertigung der kroatischen Unabhängigkeit von den anderen balkanischen Völkern. Auf dieser Grundlage bauten die Ustacha-Anhänger ihre vom Nationalsozialismus unabhängige rassistische Ideologie auf. Die Nazis, die die Kroaten als Untermenschen hätten betrachten und zu Ihren Sklaven machen müssen, fanden es bequem, sie an ihrer Seite zu mobilisieren, indem sie vorgaben, an diesen Mythos zu glauben. Siehe: The Racial Idea in the Independent State of Croatia. Origins and Theory, Nevenko Bartulin, Brill (2014).

    [7] Nationalism and Terror. Ante Pavelic and Ustasha Terrorism from Fascism to the Cold War, Pino Adriano and Giorgio Cingolani, Central European University Press (2018).

    [8] Old Nazis, the new right and the Republican party, Russ Bellant, South End Press, 1988.

    [9] „Wer sind die Nazis in der ukrainischen Regierung?“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 6. März 2014. „Nazi-Organisationen brechen auf europäischer Ebene ein“, von Andrey Fomin, Übersetzung Horst Frohlich, Oriental Review (Russland) , Voltaire Netzwerk, 8. März 2014. „Ukrainische Neonazis von den Vereinigten Staaten ausgebildet“, von Manlio Dinucci, Übersetzung Horst Frohlich, Il Manifesto (Italien), Voltaire Netzwerk, 17. Februar 2015. „Nazi-Demo in Kiew“, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 21. Oktober 2017. „Der NATO-Zuchtbetrieb für Neonazis in der Ukraine“, von Manlio Dinucci, Übersetzung K. R., Il Manifesto (Italien), Voltaire Netzwerk, 26. Juli 2019.

    [10] « La présidente de la Lettonie réhabilite le nazisme», [Präsidentin von Lettland rehabilitiert den Nazismus] par Thierry Meyssan, Réseau Voltaire, 16 mars 2005. (Auch auf Englisch). „Das Recht auf Gegendarstellung durch die lettische Regierung“, Botschafterin Solvita Aboltina und Kommentare von Manlio Dinucci und Thierry Meyssan. Übersetzung K. R., Voltaire Netzwerk, 16. Oktober 2018.
    Thierry Meyssan
Thierry Meyssan: Politischer Berater, Gründer und Präsident vom Voltaire Netzwerk - Réseau Voltaire. Letztes französisches Werk: Sous nos yeux - Du 11-Septembre à Donald Trump.

Dieser Beitrag ist unter Lizenz der Creative Commons (CC BY-NC-ND)
 

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