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13.12.2019 00:00 Der soziale Klimawandel Unter dem Einfluss anglo-amerikanischer Wirtschaftsideologien ist Deutschland zur Hartz-IV-Republik verkommen. Exklusivabdruck aus „Die zerrissene Republik“. — „Soziale Gerechtigkeit“ ist ein tückischer Begriff, denn jeder legt ihn auf seine Weise aus. Es könnte ja sein, dass die „Eliten“ als Leistungsträger ihre Millionenvermögen verdienen, während „Leistungsverweigerer“ gerechterweise im Elend versinken. Vom US-amerikanisch geprägten Neoliberalismus ausgehend, hat sich auch in Deutschland ein drastischer Paradigmenwechsel vollzogen... [Quelle: rubikon.news] JWD ...Die Politik ist nicht mehr auf Ausgleich und Solidarität bedacht, vielmehr herrscht eine krude Roulette-Logik: „The Winner takes it all“. Von Systemopfern wird verlangt, dass sie ihr Elend als selbstverschuldetes Schicksal betrachten. Hartz IV ist zum Leitsymptom einer zunehmend verrohenden Gesellschaft geworden.
Seit der Jahrtausendwende wandeln sich die in Deutschland bis dahin allgemein verbindlichen Gleichheits- und Gerechtigkeitsvorstellungen. Galt früher der soziale Ausgleich zwischen gesellschaftlichen Klassen und Schichten als Ziel staatlicher Politik, so steht heute den Siegertypen alles, den „Leistungsunfähigen“ beziehungsweise „-unwilligen“ nach offizieller Lesart hingegen nichts zu. In einer „Winner-take-all“-Gesellschaft (Robert H. Frank/Philip J. Cook) zählt nur der ökonomische, sich möglichst in klingender Münze auszahlende Erfolg. Gleichzeitig hat Deutschland besonders unter jungen Menschen eine „Winner-loser-Kultur“ (Oliver James) nach angloamerikanischem Muster ausgebildet, die Klassen- und Schichtgrenzen zementiert und Solidarisierungsprozesse erschwert oder verhindert. Unter dem wachsenden Einfluss des Neoliberalismus und des angloamerikanischen Sozialmodells hat sich das Gerechtigkeitsverständnis in Deutschlands zuletzt offenbar jenem der USA angenähert. Maßgeblich geprägt wird es von den wirtschaftlichen, politischen, medialen und wissenschaftlichen Eliten, also jenen Bevölkerungsgruppen, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Machtposition größeren Einfluss auf öffentliche, mediale und Fachdiskurse, aber auch das Alltagsbewusstsein nehmen können. Es gab deutliche Einstellungsveränderungen, die man als US-Amerikanisierung der Haltung zu verteilungs-, steuer- und sozialpolitischen Grundsatzfragen bezeichnen könnte.
Entsolidarisierung als Folge der Angesichts der Boni für „raffgierige“ Investmentbanker und der hohen Abfindungen für unfähige Manager, die Firmenpleiten herbeigeführt hatten, erkannten zwar immer mehr Menschen, dass es sich bei dem meritokratischen Dogma um einen Mythos handelt. Kapitalkräftige „Leistungseliten“ oder Gruppen, die sich für eine solche hielten, vertraten ihre Eigeninteressen jedoch sehr viel rücksichtsloser als in der „alten“ Bundesrepublik, weil sich die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit seither zu ihren Gunsten geändert und ideologische Deutungsmuster an Bedeutung gewonnen hatten, die ihre Privilegien legitimieren. Daher muss Ungleichheit hierzulande seit geraumer Zeit kaum mehr gerechtfertigt werden.
Je nachdem, ob die politische Kultur eines Landes wie der USA das Reichsein
weniger Familien und das Armsein vieler anderer Bürger/innen durch ein
meritokratisches Gerechtigkeitsverständnis legitimiert oder ob sie wie in den
meisten kontinentaleuropäischen Ländern stärker für die Bedrohung des
gesellschaftlichen Zusammenhalts wie für die Untergrabung der Demokratie durch
sozioökonomische Polarisierungstendenzen sensibilisiert ist, werden die
Legitimitätsgrenzen für Ungleichheit anders gezogen. Verhöhnung der sozial Benachteiligten Wie der Reichtum in einem vom Neoliberalismus beeinflussten Land als angemessene Belohnung für eine Leistung betrachtet wird, selbst wenn diese im Falle einer Börsenspekulation auch ganz schlicht darin bestehen kann, den guten Tipp eines Anlageberaters zu befolgen, wird Armut umgekehrt nicht als gesellschaftliches Problem, vielmehr als selbst verschuldetes Schicksal begriffen, das eine gerechte Strafe für den fehlenden Willen oder die Unfähigkeit darstellt, sich beziehungsweise seine Arbeitskraft auf dem Markt mit ausreichendem Erlös zu verkaufen. Durchaus folgerichtig werden Transferleistungen beanspruchende Langzeit- und Dauererwerbslose heute stärker als „Sozialschmarotzer“ etikettiert, stigmatisiert und diskriminiert als vor der neoliberalen Wende.
Durch die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze haben sich der Sozialstaat, wie
man ihn bis dahin kannte, und die deutsche Gesellschaft insgesamt merklich
verändert. Gleichwohl ist sie für den damit verbundenen Wertewandel und den
massenhaften Verlust an Lebensqualität für sämtliche Bevölkerungsschichten kaum
sensibel: Erwerbslose, Arme und ethnische Minderheiten stoßen auf noch größere
Ressentiments, wohingegen Markt, Leistung und Konkurrenz zentrale Bezugspunkte
der Gesellschaftsentwicklung geworden sind. Heute findet die Maxime „Wenn jeder
für sich selbst sorgt, ist für alle gesorgt“ erheblich mehr Widerhall als zu
einer Zeit, da man die SPD mit der sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität
als traditionellen Grundwerten im parteipolitischen Raum noch für die berufene
Interessenvertreterin der „kleinen Leute“ hielt.
Quellen und Anmerkungen:
Link zum Originaltext bei ' rubikon.news ' ..hier Passend zum Thema: 01.10.2017 01:00
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