30.01.2020 12:30 Politische Regime ändern?
In 48 Ländern zugleich, stellen sehr große Demonstrationen das politische Regime
des Staates in Frage. Die Vorherrschaft des demokratischen Modells, das Ende des
20. Jahrhunderts von fast allen akzeptiert wurde, wird nun in Frage gestellt.
Für Thierry Meyssan wird kein Verfassungssystem die aktuellen Probleme lösen
können, die in erster Linie das Ergebnis von Werten und Verhaltensweisen sind. -
Auf mehreren Kontinenten erheben sich derzeit 48 Völker gegen ihre Regierungen.
Eine Bewegung dieser Größenordnung wurde noch nie auf globaler Ebene beobachtet.
Nach der Zeit der Finanzglobalisierung erleben wir nun eine Anfechtung der
politischen Systeme und denken an neue Regierungsformen. [Quelle:
voltairenet.org] JWD
Von Thierry Meyssan | Voltaire
Netzwerk | Damaskus (Syrien) | 29. Januar 2020
Screenshot |
Quelle: voltairenet.org
Heute hat sich in
unserer Gesellschaft – und durch außerordentlich schuldhafte
politische Diskurse – die Vorstellung eingelebt, dass wir nicht mehr
in einer Demokratie wären, dass eine Form der Diktatur Einzug
gehalten hätte. Aber gehen Sie doch in die Diktatur! Eine Diktatur
ist ein Regime wo eine Person oder ein Clan die Gesetze beschließen.
Eine Diktatur ist ein Regime, in dem man nie die Führungspersonen
wechselt, niemals. Wenn Frankreich das ist, versuchen Sie die
Diktatur und Sie werden schon sehen!“ — Emmanuel Macron, 24. Januar
2020.
Anmerkung: Offensichtlich hegt Macron als
Rothschild-Jünger ein Demokratieverständnis wie es von George Soros
mit seiner "Offenen Gesellschaft",
siehe auch Karl Popper,
propagiert wird. Danach beschränkt sich Demokratie auf die
Möglichkeit, ohne Blutvergießen Regierungen abwählen zu können. Wie
an den von Soros angezettelten Farbrevolutionen deutlich wird, ist
aber auch diese Gewaltfreiheit eine Farce. Keineswegs geht es darum,
Politik zum Wohle der Allgemeinheit zu gestalten, oder gar darum,
dass die Staatsgewalt vom Volke ausgehen soll, oder gar der Pöbel
regiert. Es geht darum, den
Neoliberalismus in einem Neofeudalismus festzuzurren und die
Reste, des auf den Idealen der "Französischen Revolution" fußenden
Demokratieverständnisses weiter auszuhöhlen, bzw. abzubauen.. JWD
Im 19. und 20.
Jahrhundert sah man sowohl den Triumph des Rückgriffs auf die Wahl, als auch die
Ausweitung der Wahlberechtigten (freie Männer, Arme, Frauen, ethnische
Minderheiten usw.).
Die Entwicklung der Mittelschicht hat mehr Menschen Zeit gegeben, um sich für
Politik zu interessieren. Sie hat die Debatte gefördert und dazu beigetragen,
die sozialen Umgangsformen abzumildern.
Die im Entstehen begriffenen Kommunikationsmittel gaben denjenigen, die es
wollten, die Möglichkeit, am öffentlichen Leben teilzuhaben. Dabei geht es nicht
um Mitwirkung an sozialen Kämpfen, sondern um die Wahl eines Präsidenten, weil
das jetzt möglich geworden ist. In der Vergangenheit wurden automatische
Nachfolgeformen, in der Regel erbliche, bevorzugt, aber nicht immer. Es war
tatsächlich für alle unmöglich, über die öffentlichen Angelegenheiten informiert
zu sein und seine Meinung schnell zu übermitteln.
Dummerweise haben wir die soziologische Umwandlung der Gesellschaften und diesen
technischen Fortschritt mit einer Regimewahl gleichgesetzt: Demokratie. Dies ist
aber kein Gesetz, sondern ein Geisteszustand, ein Ideal: "die Regierung des
Volkes, durch das Volk und für das Volk", wie Abraham Lincoln es ausspricht.
Wir haben schnell erkannt, dass demokratische Institutionen nicht besser sind
als andere. Sie erhöhen die Zahl der privilegierten Menschen, erlauben aber
letztlich einer Mehrheit, eine Minderheit auszubeuten. Also haben wir alle Arten
von Gesetzen entworfen, um dieses System zu verbessern. Wir haben die
Gewaltenteilung und den Schutz von Minderheiten mit aufgenommen.
Das demokratische Modell funktioniert jedoch nicht mehr. Viele Bürger stellen
fest, dass ihre Ansichten nicht mehr berücksichtigt werden. Das kommt nicht von
Institutionen, die sich wenig inhaltlich verändert haben, sondern von der Art
und Weise, wie sie verwendet werden.
Nachdem wir mit Winston Churchill uns selbst davon überzeugt haben, dass
"Demokratie ein schlechtes System ist, aber das am wenigsten schlechte aller
Systeme", erkennen wir, dass jedes politische Regime auf die Sorgen von Menschen
reagieren muss, die anders sind. je nach ihrer Geschichte, ihrer Kultur; dass
das, was hier gut ist, woanders, oder in einer anderen Zeit nicht der Fall sein
wird.
Man muss sich vor dem Vokabular in der Politik hüten. Die Bedeutung von Wörtern
ändert sich im Laufe der Zeit. Sie werden oft mit guten Absichten eingeführt und
mit schlechten fehlgeleitet. Wir verwechseln unsere Ideen mit den Worten, die
wir verwenden, um sie auszudrücken, aber die andere benutzen, um sie zu
verraten. Ich werde daher in diesem Text klarstellen, was ich mit den
Wichtigsten meine.
Wir müssen die Frage unserer Governance neu stellen. Nicht in der Art von
Emmanuel Macron, der "Demokratie" der "Diktatur" widerstellt, um das Nachdenken
zu beenden, bevor es begonnen hat. Diese beiden Worte decken unterschiedliche
Realitäten ab. Demokratie bezieht sich auf ein Regime, an dem die meisten Leute
teilnehmen. Sie widersetzt sich der Oligarchie, in der nur wenige die Macht
ausüben. Im Gegenteil, wenn man nicht mehr über die Anzahl der an der
Entscheidung beteiligten Personen spricht, sondern darüber, wie sie getroffen
wird, bestimmt die Diktatur ein Regime, in dem der Führer, ein
Militärkommandant, seine Entscheidung treffen kann, ohne darüber diskutieren zu
können. Sie ist gegen den Parlamentarismus.
Die Legitimität
der Republik
Zunächst müssen wir die Frage der Legitimität stellen, das heißt, warum wir die
Regierung und dann den Staat als nützlich anerkennen, bis zu dem Punkt, dass wir
ihre Autorität akzeptieren.
Wir gehorchen einer Regierung, von der wir glauben, dass sie unseren Interessen
dient. Das ist die Idee der "Republik" im römischen Sinne. So bauten die Könige
von Frankreich geduldig die Idee des "allgemeinen Interesses" auf, das die
Angelsachsen von Beginn des 17. Jahrhunderts an ablehnten, wie auch das
Experiment mit Oliver Cromwell. Heute sind das Vereinigte Königreich und die
Vereinigten Staaten die einzigen Länder, wo man behauptet, dass kein
öffentliches Interesse bestehe, sondern nur die höchstmögliche Summe
unterschiedlicher und widersprüchlicher Interessen.
Die Briten verdächtigen auf den ersten Blick jedermann, der vom öffentlichen
Interesse spricht, dass er das blutige republikanische Regime Oliver Cromwells
wiederherzustellen versucht. Die Vereinigten Staaten sind sich einig, dass jeder
Bundesstaat republikanisch ist (d.h. er diene den Interessen der lokalen
Bevölkerung), aber sicherlich nicht, dass der Bundesstaat – dem sie misstrauen –
es sei (weil er, so glauben sie, nicht den Interessen aller Komponenten dieser
Einwanderungsnation dienen kann). Deshalb präsentiert ein Kandidat in den USA
kein Programm, das seine Vision von der Gesellschaft wie im Rest der Welt
umreißt, sondern eine Liste von Interessengruppen, die ihn unterstützen.
Der Gedanke der Angelsachsen erscheint mir seltsam, aber es ist ihrer. Ich werde
meine Überlegungen mit den Völkern fortsetzen, die die Idee des öffentlichen
Interesses akzeptieren. Für sie sind alle politischen Regime akzeptabel,
vorausgesetzt, sie dienen dem öffentlichen Interesse, was für unsere Demokratien
im Allgemeinen nicht mehr der Fall ist. Das Problem ist, dass keine Verfassung
diesen Dienst garantieren kann. Es handelt sich um eine Praxis, mehr nicht.
Republikanische Tugend
Dann stellt sich also die Frage nach den Qualitäten, die für das ordnungsgemäße
Funktionieren eines demokratischen oder nicht demokratischen politischen Regimes
erforderlich sind. Bereits im 16. Jahrhundert hatte Machiavelli diese Frage mit
dem Prinzip der "Tugend" beantwortet. Folglich darf man die Tugend nicht als
Moral irgendeiner Art verstehen, sondern eine Form der Selbstlosigkeit, die es
einem ermöglicht, sich um das öffentliche Interesse zu kümmern, ohne zu
versuchen, irgendeinen persönlichen Profit daraus zu ziehen; eine Qualität, die
nahezu dem gesamten politischen Personal des Westens heute zu fehlen scheint.
Machiavelli wird oft als Denker der Rücksichtslosigkeit in der Politik zitiert
und als Manipulator beschrieben. Natürlich war er kein naiver Mann, sondern ein
Mann, der dem Prinzen beibrachte, wie er seine Macht nutzen kann, um über seine
Feinde zu triumphieren, und wie man seine Macht nicht missbraucht.
Wir wissen nicht, wie man Tugend entwickeln kann, aber wir wissen, was sie
verschwinden lässt: Wir haben nur mehr Respekt für diejenigen, die Geld haben,
wir empfinden keinen Respekt mehr vor denen, die sich dem öffentlichen Interesse
widmen. Schlimmer noch: Wenn wir jemanden finden, der sich dem öffentlichen
Interesse widmet, denken wir, dass er reich ist. Wenn wir uns jedoch an
tugendhafte politische Persönlichkeiten erinnern, wissen wir, dass sie nur dann
reich waren, wenn sie ein Vermögen geerbt oder Geld verdient hatten, bevor sie
in die Politik eintraten, also waren sie es in der Regel nicht.
Gene Sharps Arbeit und die Erfahrung der bunten Revolutionen zeigen uns, dass
wir, egal welches politische Regime uns regiert, immer die Führer haben, die wir
verdienen. Kein Regime kann ohne die Zustimmung seines Volkes bestehen.
Deshalb sind wir kollektiv für den Mangel an Tugend unserer Führer
verantwortlich. Mehr noch als unsere Institutionen zu verändern, müssen wir uns
daher ändern und andere nicht mehr nach der Dicke ihres Portefeuilles
betrachten, sondern vor allem nach ihrer Tugend.
Revolutionäre Brüderlichkeit
Zur Tugend fügte die Französische Revolution die Brüderlichkeit hinzu. Auch dies
war keine moralische oder religiöse Frage, keine soziale Hilfe, sondern die
Waffenbruderschaft der Soldaten des Jahres II. Sie hatten sich freiwillig bereit
erklärt, das Land vor der preußischen Invasion zu retten, gegenüber einer
Berufsarmee. Zwischen ihnen unterschieden sie nicht mehr zwischen Aristokratie
und Dritten Stand und verwirklichten ihr Ideal der Gleichheit. Und sie siegten.
Ihre Hymne, La Marseillaise, wurde sowohl die der Französischen Republik als
auch die der Sowjetischen Revolution in ihren frühen Tagen (vor dem Gulag). Ihr
Refrain wird jetzt missverstanden:
Aux armes, citoyens, (Zu den Waffen, Bürger,)
Formez vos bataillons, (Formiert eure Truppen,)
Marchons, marchons ! (Marschieren wir, marschieren wir!)
Qu’un sang impur (Unreines Blut)
Abreuve nos sillons! (Tränke unsere Furchen! )
Wir interpretieren es falsch, als ob wir unsere Furchen mit dem Blut unserer
Feinde tränken würden. Aber das Blut der Tyrannensoldaten kann unser Land nur
vergiften. In der damaligen Vorstellung widersetzte sich das "unreine Blut" des
Volkes dem "blauen Blut" der Offiziere des preußischen Reiches. Es ist die
Erhöhung des höchsten Opfers, das die Waffenbruderschaft des Revolutionärs
begründete.
Die Waffenbruderschaft des Volkes entspricht der Tugend der Herrscher. Die
beiden antworten einander.
Und jetzt?
Heute leben wir in einer Zeit, die an die Französische Revolution erinnert: Die
Gesellschaft ist wieder in Stände gespalten. Auf der einen Seite die Führer, die
seit ihrer Geburt gewählt wurden, dann Kleriker, die ihre soziale Moral über die
Medien aushändigen, und schließlich ein Dritter Stand, der mit Tränengas und LBD
(Defence Bullet Launcher) zurückgestoßen wird. Aber es gibt derzeit keinen
Grund, für die Heimat zu sterben, angesichts der Interessen der tausend sich in
Davos treffenden Wirtschaftsführer.
Auf jeden Fall suchen die Völker überall nach neuen Formen der
Regierungsführung, im Einklang mit ihrer Geschichte und ihren Bestrebungen.
Thierry Meyssan: Politischer Berater,
Gründer und Präsident vom Voltaire Netzwerk - Réseau Voltaire. Letztes
französisches Werk: Sous nos yeux - Du 11-Septembre à Donald Trump.
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(CC BY-NC-ND)
07.02.2018 02:00 Der große Bluff
– Wie demokratisch ist unsere Demokratie?
In der 13. Ausgabe von Positionen fliegen die Fetzen. Schuld daran ist das
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verstanden?. JWD
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02.11.2011 12:30
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Beitrag in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Wer das Volk fragt,
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