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Vollständiger Sendungstext zum Artikel:
25.03.2017 10:00
Film „WARUM? Geschichten aus dem
zerbombten Jugoslawien“
24. März 1999 – 10. Juni 1999
Die NATO flog insgesamt 2.300 Raketen- und Bombenangriffe auf 990 Objekte in
Jugoslawien. Es wurden 14.000 Bomben abgeworfen. Rund 300 Schulen, Fabriken und
Krankenhäuser wurden vernichtet. Mehr als 2.000 Zivilisten, unter ihnen 88
Kinder kamen ums Leben. Über 8.000 Menschen wurden verletzt. - Ein Film von
Jelena Milincic und Anissa Naouai
Sendungstext / Transkription zum Film:
Anfang
Jelena: Bei Bombenangriffen kamen wir gewöhnlich hierher. Nachts
versammelten sich hier sehr viele Menschen, auch meine Freunde und ich waren
dabei. Wir saßen einfach da und sahen zu, wie unsere Stadt brannte. Manchmal
ähnelten Explosionen einem Feuerwerk, so viele gab es.
Dort drüben ist ein Krankenhaus, es wurde auch gebombt. Ein bisschen weiter war
der Generalstab. Ich weiß auch noch, wie jenes Hochhaus in Flammen stand, es war
so stark beschädigt, dass man hindurchsehen konnte. Es ist ganz in der Nähe von
hier, vom historischen Zentrum Serbiens.
Anissa: Bombardiert wurde eine größere europäische Stadt und dabei wusste
damals in den USA kaum jemand davon. Ich bin mir selbst 15 Jahre danach nicht
sicher, ob die einfachen US-Bürger imstande sind, Serbien auf einer Landkarte zu
zeigen, geschweige denn zu erklären, warum wir euch eigentlich bombardiert
haben.
WARUM?
Anissa: Ich heiße Anissa Naouai, und bin eine amerikanische Journalistin.
1999 war ich 16 Jahre alt und besuchte eine Theaterschule. Dabei hatte ich keine
Ahnung, dass mittlerweile ein Land im Herzen Europas fast 3 Monate lang
bombardiert wurde.
Jelena: Ich heiße Jelena und bin eine serbische Journalistin. 1999 war
ich 18 und studierte an der Universität Belgrad. Luftangriffe gehörten 3 Monate
lang zu meinem Alltag.
Die NATO startete ihre Militärkampagne gegen Jugoslawien als eine „humanitäre
Mission“. Das Ziel: Die von der Regierung Milosevic praktizierten Repressalien
zu stoppen und den politischen Status des Kosovo völkerrechtlich zu verankern.
Anissa: Das ist schon 15 Jahre her und ich bin nun in Belgrad, um zu
begreifen, was die Leute damals alles erleben mussten. Ich meine damit keine
Beamten oder Politiker, sondern eben einfache Bürger.
Jelena: Ich mache dich mit denjenigen bekannt, die alles, wie ich,
durchgemacht haben. So kannst du alles besser verstehen. Denn damals war dieser
Krieg für dich wohl nur eine Eilmeldung.
Wir müssen sofort handeln.
Wir rufen auf, Milosevic zu vernichten. Die NATO hat mit massiven Luftangriffen
begonnen. Wir werden sie zugrunde richten. Militärischen Handlungen. Ein Angriff
auf einen souveränen Staat. Ganze Staffeln von Flugzeugen heben ab.
NATO-Marschflugkörper treffen Serbien. Das Ganze wird sich morgen Nacht
wiederholen.
Die Operation „Allied Forces“: 24. März 1999 – 10. Juni 1999.
Die NATO bombardierte Jugoslawien 78 Tage lang.
Belgrad wurde 212 Mal bombardiert.
Hinweis:
Der Film enthält
Szenen mit Darstellungen, die für Minderjährige oder empfindlich reagierende
Personen nicht geeignet sind.
Quelle: kla.tv | veröffentlicht
24.03.2017
Film „WARUM? Geschichten aus dem
zerbombten Jugoslawien“
[...]
Fortsetzung (zum Textanfang
..hier):
Jelena: Hallo. Das ist Anissa.
Anissa: Hallo, sehr angenehm.
Ivana: Hallo, ich heiße Ivana, ganz meinerseits.
Jelena: Das ist meine beste Freundin. Sie war gerade bei mir zu Hause, als die
Bombardements begannen. Zusammen mit uns waren auch meine Mutter und meine
Schwester. Erinnerst du dich an jene Nacht?
Ivana: Ja, ich erinnere mich gut daran.
Anissa: Das heißt, damals wart nur ihr Frauen zu Hause?
Ivana: Ja, wir waren zu viert. Ich weiß noch, dass wir eine Art Alarmsignal
gehört haben.
Anissa: Und was habt ihr gemacht?
Ivana: Wir haben uns unter dem Tisch versteckt. Ich weiß nicht mehr, wessen Idee
das war, unter den Tisch zu kriechen.
Jelena: Das war die Idee meiner Mutter, sie wollte uns dadurch vermutlich
schützen, obwohl wir ja keine Kinder mehr waren. Wir waren ja 18 bzw. 19 Jahre
alt, Studierende eben.
Ivana: Tatsächlich, wir waren damals im ersten Studienjahr, und wir haben uns
unter dem Tisch versteckt.
Anissa: Hatte die Mutter gerade so befohlen: „Alle unter den Tisch“?
Jelena: Nein, das war eher eine Art Selbsterhaltungstrieb.
Ivana: Der Tisch wurde zu einer Art „Schutzdecke“. Da sind wir.
Anissa: Das ist also dein Haus?
Jelena: Ja, meine Schwester hat vor kurzem geheiratet.
Schwester: Hallo.
Jelena: Also, wir alle waren hier zusammen als der Bombenangriff begann.
Schwester: Wir haben bis zuletzt geglaubt, uns könnte nichts Schlimmes
passieren. Ich erinnere mich gut daran, als kurz vor dem Angriff Präsident
Jelzin in einer Fernsehansprache gesagt hat, dass Russland uns schützen werde.
Jelena: Mit der Zeit haben wir Dinge gelernt, von denen wir früher nicht die
geringste Ahnung hatten, wir wurden sozusagen Militärexperten. Ich weiß noch wie
dein Bruder stets am Fluss herumsaß und zusah, wie die Bomben explodierten. Er
konnte genau bestimmen, dass ein Flugzeug zum Beispiel gerade leer flog. Nur dem
Getöse nach wussten wir, ob an Bord Bomben waren oder nicht. Wir kannten uns
allmählich nicht nur in Bombentypen, sondern auch in Flugzeugtypen aus.
Schwester: Wir wurden tatsächlich Experten.
Jelena: Ja, Fachleute eben. Ich weiß noch, dass wir in der Familie eine
Abmachung hatten, einander an Spaziergängen durch die Stadt nicht zu hindern.
Wir verabredeten uns, dass jeder von uns wissen musste, wo sich der andere
befand. Dabei sollten wir niemandem was verbieten.
Schwester: „Eigentlich wollte niemand von uns die Verantwortung für das Leben
der anderen übernehmen. Nein, wir haben uns nicht verabredet, die ganze Zeit zu
Hause zu hocken. Aber ich, zum Beispiel, wollte meine Familie nicht alleine
lassen. So agierten viele. Wir durften zwar auf die Straße gehen, taten das aber
nicht.
Die Lage verschlimmert sich immer mehr. Der Himmel über der Hauptstadt wurde
schon wieder durch Flammen erleuchtet. Die NATO besteht darauf, dass die
Angriffe gegen Jugoslawien andauern werden.
Jelena: „Ich erinnere mich an eine Nacht. Mir schien als wäre ich verrückt
geworden, wir haben damals sogar ein Erdbeben erlebt. Alles fiel über uns her,
und dann kam eine Überschwemmung. Was noch, wie lange noch, die Gefahr war auf
dem Boden, fiel vom Himmel, sie kam von allen Seiten her. Wir hörten das Getöse
von Flugzeugen, die Hauswände schwankten und wir wussten nicht, was das war.
Anissa: „Also war nicht sofort klar, dass das ein Erdbeben war?“
Jelena: Nein, das haben wir erst später erfahren, ich weiß noch, dass ich nach
einer Decke gegriffen habe, ja ich glaube das war eine Decke, ich wollte mich
nur irgendwie vor all dem verbergen. Es ist klar, dass sie mich nicht hätte
schützen können. Ich sagte mir dann, Schluss damit, ich geh weg. Ich wickelte
mich in diese Decke ein und ging aus dem Haus.
Jelena: Wir waren damals gewohnt, dem Tod und anderen schrecklichen Dingen zu
begegnen, ich weiß nicht, wie ich das erklären kann. Das alles glich einer
virtuellen Realität.
Schwester: Die ersten anderthalb Monate waren absolut unerträglich, Jelena
weinte nicht direkt, ihre Tränen flossen einfach von selbst, dabei drückte ihr
Gesicht überhaupt keine Emotionen aus. Nicht einmal die Mutter konnte sie
beruhigen. Das ist schwer in Worte zu fassen, denn wir haben bis zuletzt nicht
geglaubt, dass uns etwas passieren könnte.
Anissa: Jetzt aber scheint sie davon ganz ruhig zu erzählen.
Schwester: Jetzt schon, aber damals war sie einfach schockiert.
Anissa: Es fällt mir wirklich schwer zu begreifen, was alles diese Frauen
durchgemacht haben. Jetzt sprechen und scherzen sie darüber, als ob die
Bombenangriffe nichts Besonderes gewesen wären. Wir haben vieles gemeinsam, wir
haben in derselben Zeit gelebt, doch unsere Welt war so grundverschieden.
Jelena: Einen Monat nach dem Beginn der Militärkampagne wurde das Fernsehzentrum
zerbombt. Hier ist es, das ist ein Teil des alten Gebäudes. Ich kenne einige,
die da drin im dritten Stock waren, als alles passierte.
Das serbische Fernsehzentrum
23. April 1999
16 Tote, 16 Verletzte
Augenzeugin: Ich war 10 Meter ab vom Geräteraum, wo das Geschoss einschlug, in
der Nachrichtenredaktion. Die Druckwelle riss den Türrahmen raus. Der fiel mir
auf die Beine und klemmte sie ein. Zu jenem Augenblick hörte ich gerade, was
Tschernomyrdin über seine Reise nach Belgrad erzählte. Unsinn, wir haben bis
zuletzt auf die Russen gehofft. Das war schrecklich.“
Augenzeugin: Die Explosion hörte sich an, als würde ein Wirbelwind vorbei
rauschen. Die Wände und die Decke brachen zusammen. Wir wurden verschüttet. Uns
war nicht sofort klar, dass eine Bombe eingeschlagen hatte. Dann standen wir
lange hier und hofften, dass sich noch irgendjemand von unseren Kollegen aus den
Trümmern befreien würde. So verstrichen einige Stunden, wobei wir nur wenige
Minuten vor der Explosion mit einer Person, die hier ums Leben kam, Apfelkuchen
gegessen haben.
Wissen Sie, es tut mir weh zu sehen, wie sich die Leute vor dem Hintergrund
dieses Gebäudes fotografieren. Aber ich verstehe, das Leben geht weiter. Wenn
sich irgendwo in der Welt eine Tragödie ereignet, denke ich seitdem an Menschen,
die auf einmal ihre Geschwister verloren haben. Das ist schrecklich. Ich denke
nie an die Zahl der Opfer, aber ich denke an das Schicksal der Menschen, mit
denen ich nicht einmal bekannt bin. Es ist mir, als hätten wir viel Gemeinsames.
Entschuldigen Sie bitte.
SKY NEWS: „Das war ein Schlag auf den Kopf des jugoslawischen Präsidenten.“
SKY NEWS/Tony Blair: „Diese Fernsehsender gehörten zum diktatorischen
Machtapparat Milosevic.“
Augenzeuge (Zoran): „Wir haben die Trümmer drei Tage lang weggeräumt.
Jelena: Waren die Leichen schon geborgen?
Augenzeuge (Zoran): Nein, natürlich nicht. Das war schrecklich. Ja, ich erinnere
mich daran, als ob das gestern passiert wäre. Die Szenen stehen mir noch vor den
Augen. Man sagt zwar, mit der Zeit werde es leichter - gewiss, man vergisst
vieles, aber das zu vergessen, ich weiß nicht. Seit jenem Tag war ich nicht mehr
hier und habe nicht gedacht, dass das auf mich so wirken würde. Ich habe so ein
Schweregefühl in der Brust, ich kann nicht atmen, ich fühle mich schrecklich.
Ich weiß nicht. Tja, für euch mag das anders sei, denn ihr wart hier nicht
vorher. Durch dieses Loch da seht ihr das Kindertheater. Ich nicht. Ich sehe die
Tür, den Flur und die Redaktion, wo die Kollegen waren. Ich sehe einen jungen
Mann, der in Kürze heiraten wollte. Das ist schrecklich, das ist einfach
schrecklich. Nein, das, das kann man nicht vergessen. Das ist nicht das Gleiche,
wenn man ein Buch zu macht und sagt: Das ist schrecklich, ich will daran nicht
denken. Das, was hier passiert ist, lässt sich nicht vergessen. Ich muss raus,
ich kann das nicht mehr aushalten, entschuldigt mich.
Jelena: Alles in Ordnung.
Jelena: Pass auf ... Diese sechzehn Bäume wurden zum Gedenken an die 16
Todesopfer gepflanzt.
Aufschrift Grabstein: Warum?
Anissa: Ich versuche es mir vorzustellen, wie es einem ergeht, wenn man in der
Redaktion sitzt und plötzlich eine Bombe herbeifliegt. Wo verläuft die
Trennlinie zwischen dem medialen und dem echten Krieg? Für mich ist das
natürlich unbe-greiflich. Ich glaube, der Blick Zorans spricht Bände. Er ist ja
hier nach 15 Jahren gekommen und hat alles buchstäblich neu erlebt. Jeden
Augenblick, als ob das wieder geschehen würde.
Anissa: Du wirst wohl ins Epizentrum der Ereignisse geraten sein.
Jelena: Ja, denn viele Gebäude im Stadtzentrum wurden zerbombt.
Der Generalstab und das jugoslawische
Verteidigungsministerium
30. April 1999
3 Tote,
38 Verletzte
Durch die Detonationen wurden auch einige
anliegende Wohnhäuser zerstört.
Jelena: So, das ist hier.
Anissa: Mein Gott!
Jelena: Das ist das Gebäude des Generalstabs. Dort schlugen gleich mehrere
Bomben ein.
CNN: „Einige Mitglieder der Allianz, besonders Italien, Spanien und Frankreich,
waren gegen die Angriffe auf eine europäische Hauptstadt.“
SKY NEWS: „Die NATO hat gezeigt, dass sie im Großen und Ganzen alles tun kann:
Was, wo und wann ihr beliebt.“
Anissa: Gibt es in Belgrad nach wie vor viele zerstörte Gebäude oder sind welche
schon abgerissen worden?
Jelena: Einige wurden abgerissen, z.B. die chinesische Botschaft.
Anissa: Können wir die Stelle besichtigen, wo sie einmal war?
Jelena: Ja, ich schlage vor, wir nehmen ein Taxi.
Anissa: OK.
Jelena: Guten Tag, fahren Sie uns bitte zur ehemaligen chinesischen Botschaft,
die zerbombt wurde. Waren Sie bei jenem Bombardement in der Stadt?
Taxifahrer: Ich wohne ausgerechnet in dem Bezirk, wo die erste Bombe einschlug.
Meine Frau war gerade dabei, eine mexikanische Seifenoper zu schauen. Ich war
auf der Terrasse. Plötzlich hörte ich eine Explosion und sah eine Rauchsäule.
Der Fliegeralarm wurde erst 20 Minuten später gegeben.
Jelena: Siehst du das Gebäude da?
Anissa: Jenes große?
Jelena: „Ja, genau. Ich habe es dir noch am Fluss gezeigt. Im siebzehnten Stock
befand sich das Hauptquartier der Sozialistischen Partei Serbiens. Das war die
Partei von Milosevic. Weißt du? Die NATO bombardierte ausgerechnet den
siebzehnten Stock.
Dieses Gebäude wurde als eine der wichtigsten Zentralen der mörderischen
Maschinerie des Präsidenten beschrieben.
Anissa: War das ein Präzisionsschlag?
Jelena: Ja, genau.
Das kann man einfach nicht erfassen, wie kann man eine ausländische Botschaft so
ohne weiteres zerbomben?
CNN: Der Angriff auf die chinesische Botschaft hat den Friedensprozess
erschwert.
CNN: China besitzt im UN-Sicherheitsrat ein Veto-Recht. Nun hat das Land einen
weiteren Grund, mit den NATO-Angriffen unzufrieden zu sein.
Ein Chinese: Wir sind zutiefst schockiert.
Die Botschaft der Volksrepublik China
7. Mai 1999
3 Tote.
Anissa: Man sagt, Russland und China sollen versucht haben, sich in den Konflikt
nicht einzumischen.
Jelena: Das konnten sie nicht. Ich meine, weder Russland noch China waren damals
stark genug, um uns zu unterstützen.
Anissa: Ich meine gerade das, sie haben die Hände in den Schoß gelegt.
Jelena: Ja.
Anissa: Kaum zu glauben, sie wurden trotzdem auch zerbombt.
Jelena: Sie hätten gegen jede Entscheidung des UN-Sicherheitsrates ihr Veto
einlegen können. Aber die Rechtmäßigkeit der Angriffe wurde nicht einmal
erörtert. Das wurde also unter Umgehung der UNO getan.
In gewissem Sinne hat die UNO ihre Hände in Unschuld gewaschen.
Die Russen und die Chinesen hatten bereits vor einigen Monaten zu verstehen
gegeben, dass sie die Militärkampagnen nicht unterstützen würden.
Aber wir hätten trotz des Widerstandes von Russland und China nicht die Hände
in den Schoß legen und bloß abwarten können.
Jelena: Hier steht: Unseren chinesischen Kollegen, die bei dem NATO-Angriff ums
Leben kamen.
Washington behauptet, dass der Angriff auf das Gebäude auf falsche Informationen
zurückzuführen sei. Das war ein tragischer Fehler. Das war ein tragischer
Fehler. Das war ein tragischer Fehler. Nicht mehr. Trotz der versehentlichen
Attacke auf die chinesische Botschaft in Belgrad kündigt die NATO an, …dass sie
mit der Luftoperation gegen Jugoslawien fortfahren werde.
Jelena: Ungefähr seit dem dritten Tag des Operationsbeginns wurden Konzerte
durchgeführt. Ja, auf dem Hauptplatz von Belgrad gab es Konzerte, jeden Tag.
Männerstimme: Viele trugen Transparente, die die Militäroperation gegen
Jugoslawien entschieden verurteilten.
Jelena: Tausende von Menschen standen entlang der Brücke. Dabei ist sie mehr als
einen Kilometer lang. Die Leute hielten einander an den Händen und sangen oder
wiederholten einfach: „Wir alle sind das Ziel. Das ist keine Brücke! Das sind
wir alle!“ Sie glaubten, dass sie dadurch die NATO-Angriffe auf die Brücken
verhindern. Doch einmal schlug eine Bombe in einen gerade über eine Brücke
fahrenden Zug ein. Nach einigen Tagen wurde ein Bus getroffen, später eine
Brücke, wo einfach Kinder spielten.
Anissa: Es werden wohl viele Brücken zerstört worden sein?
Jelena: Ja, das war ein Teil der sogenannten „erlaubten Ziele“, weil sie ein
Teil der Infrastruktur sind, und außerdem, weil man über Brücken Militärgerät umdislozieren kann.
Auch in dieser Nacht bombardierten NATO Flugzeuge das Territorium Serbiens. Wir
sind mit dem Ergebnis der gestrigen Attacken zufrieden.
Anissa: Frag ihn bitte, wonach er Bill Clinton oder Madeleine Albright fragen
würde, falls er diese Gelegenheit hätte.
Taxifahrer: Ich würde fragen, warum sie unser Land für böse halten, warum sie
uns das angetan haben, warum Serbien immer Unrecht hat, während die anderen
immer Recht haben, z.B. die Kosovo Albaner, warum?
Einblendung: Entbindungsheim, bitte nicht hupen
Jelena: „Das ist ein Krankenhaus. Es wurde auch bombardiert. Hier befand sich
die Entbindungsstation.“
Das Dedinje Krankenhaus
20. Mai 1999
10 Tote, beschädigt wurden die Entbindungs- und
Pädiatrieabteilung)
Jelena: Ein Freund von mir war hier. Anissa: Guten Tag.
Freund: Tag, hallo. Wir wohnten damals in Neu-Belgrad, das heißt am Save(?)
Ufer, und als das Bombardement begann, war meine Frau damals im siebten Monat
schwanger. Ihr Bauch war schon sehr groß, also dachte ich an alles; hätten sie
die Brücke zerstört, hätte ich mit einem Boot übergesetzt, nur um meine Frau ins
Krankenhaus zu bringen. Wir hatten aber sozusagen Glück. Sie ließen unsere
Brücke stehen. Ich erinnere mich gut an den Tag, als unser Sohn Costa zur Welt
kam. Ich brachte meine Frau hierher und wartete draußen. Plötzlich schaute ich
eine Bombe fallen. Ich rannte hinein und fand die Meinen. Meine Frau schluchzte
und dann packte mich eine Krankenschwester am Arm und schleppte mich zu den
Neugeborenen. Es waren sechs oder sieben. Sie steckte mir zwei Babys in die Arme
und rief: Hilf! Bring sie in den Keller hinunter!
Das Krankenhaus war kein Ziel des Angriffs. Es stand einfach im Weg. Die
Luftstreitkräfte können zivile und militärische Ziele nicht besonders gut
voneinander unterscheiden. Frauen und Kinder wurden umgehend in den
Luftschutzraum geschickt.
Zeitzeuge: Ich habe drei Kinder und fünf Enkelkinder. Es kann für mich nichts
Schrecklicheres geben, als bei Bombenangriffen getötete und verletzte Kinder.
Und ich habe solche Kinder gesehen: ohne Arme, ohne Beine, verblutet. Ich bin
professionell, aber nicht kaltblütig. Es fällt mir schwer, mich daran zu
erinnern, ohne emotional zu werden, ohne Stress.
Freund: Mein Sohn Costa, der hier bei dem Luftangriff zur Welt kam, sagte mir
einmal: `Du, ich erinnere mich an jenes Bombardement`. Wie kannst du dich daran
erinnern, du warst doch nur eine Stunde alt? `Ich weiß nicht, aber manchmal
träume ich, als wäre ich mitten in einem Gefecht`. Vielleicht stimmt das auch.
Anissa: Meinen Sohn brachte ich im August 2012 zur Welt, und ich bin einfach
sprachlos. Ich kann es mir nicht einmal versuchen vorzustellen, was die Frauen
damals durchgemacht haben.
Jelena: Ich glaube, wir müssen auch mal raus aus der Hauptstadt, damit du
unterschiedliche Teile Serbiens siehst, denn Belgrad ist nicht die einzige
Stadt, die bombardiert wurde.
Anissa: Weißt du etwa, wie die NATO die Zivilopfer nannte? Kollateralschäden.
Von Anfang an tat man alles Mögliche, um eventuelle Kollateralschäden zu
minimieren, damit es keine Toten und Verwundeten unter der Zivilbevölkerung gab.
Jelena: Was die Kollateralschäden betrifft, so gibt es unweit von der Stadt Nis
eine Brücke, die in dem Augenblick zerbombt wurde, als darüber ein Zug, ein
Personenzug, fuhr. Und jetzt werden wir uns mit denjenigen treffen, die damals
drin waren.
Der Personenzug unweit der Stadt Nis
12. April 1999
15 Tote, 44 Verletzte
Viele Passagiere sind seitdem verschollen.
Zeuge: Es gab eine Explosion. Etwas knallte unter der Lok. Durch die
Erschütterung wurden wir einen halben Meter hoch geschleudert. Es war ein
Wunder, dass der Zug nicht entgleist ist.
Heute Abend wurde in Jugoslawien durch einen NATO-Luftangriff ein über eine
Brücke fahrender Personenzug zerstört. Die NATO erklärt, dass der Zug kein Ziel
der Attacke gewesen sei. Trotz der Verluste unter der Zivilbevölkerung kündigt
die NATO an, dass die Intensität der Bombenangriffe nicht abnehmen werde.
Zeitzeuge: Ich hörte eine Explosion, und sprang aus dem Zug. Die Druckwelle
schlug die Fensterscheiben ein. Ich sah nichts, überall war Staub. Ich wollte
weiterleben und lief davon. Ich hörte das Flugzeuggetöse, darauf folgte eine
zweite Explosion. Danach hörte ich nur noch Hilferufe der Fahrgäste.
Anderer Zeuge: Unser Kollege sprang zusammen mit mir aus dem Zug. Er war sehr
erschrocken. Da ging eine weitere Rakete hoch, er wurde in Stücke gerissen.
Warum? Warum Zivilisten? Warum der Zug? Sinnlos!
Zeuge: Als wir noch Kinder waren, lebten alle friedlich zusammen. Wir wussten,
dass die Faschisten böse sind, und dass wir gut sind. Während des Ersten und des
Zweiten Weltkrieges kämpften wir auf der Seite der Siegermächte, gegen die
Faschisten, und plötzlich wurden wir zu Feinden.
Anderer Zeuge: Eines lässt mich nicht in Ruhe: Angenommen, die erste Bombe wäre
ein Fehler gewesen, wozu dann die weiteren? Warum? Ich weiß es nicht.
Zeuge: Als die dritte Bombe abgeworfen wurde, dachte ich, das wird nie mehr zu
Ende gehen. Man stelle sich nur vor: fünf Minuten nach den zwei ersten kommt
eine weitere, dann noch eine und noch eine. Zu sagen, dass ich ratlos war, wäre
untertrieben, ich war einfach schockiert!
Zeuge: Warum? Was wäre, wenn Ihre Bürger so gelitten hätten? Ich stelle mir
immer wieder diese Frage und finde keine Antwort darauf. Dafür gibt es keine
Entschuldigung.
Anissa: Ich verstehe nicht, wie die ganze Welt zulassen konnte, dass sich die
NATO für das alles nicht einmal entschuldigte. Fehler oder kein Fehler. Kollateralschäden und Verluste. Nennt das wie ihr wollt, die Menschen sind aber
tot.
Jelena: Hast du je vom Dorf Murino gehört?
Anissa: Ich weiß, das ist eine Ortschaft in Montenegro. Ich habe gelesen, dass
sie bombardiert worden sei, aber ich habe keine glaubwürdigen Informationen
darüber gefunden. Ich weiß, dass 6 Menschen, unter ihnen 3 Kinder ums Leben
gekommen sein sollen. Alles, was ich gefunden habe, war diese Liste.
Jelena: Welche Liste?
Anissa: Die der Verluste unter der Zivilbevölkerung.
Das Dorf Murino (Montenegro)
30. April 1999
6 Tote, unter ihnen 3 Kinder
8 Verletzte
Mutter: Hier kam er ums Leben! Das passierte hier. Er stand hier. Menschen, die
da waren, sagen, die Explosionswucht habe sein T-Shirt in den Fluss fliegen
lassen.
Alle dachten, dass Miroslav im Fluss wäre. Aber er war nicht da. Hier hat man
ihn gefunden. Man zeigte mir seine Leiche nicht und sagte, ihr solltet ihn
lieber so im Gedächtnis behalten, wie er gewesen war. Der Vater ging aber hin.
Sie fragten ihn, ob er ihn sehen möchte und er antwortete: Ich kann nicht umhin.
Das was er sah, waren einzelne Körperteile. Der Kopf war entstellt, er hatte
weder Arme noch Beine. Sie sind verrückt. Selbst die schrecklichsten Monster
hätten so etwas nicht gemacht. Ich kann das nicht in Worte fassen, was sie uns
angetan haben. Das sind keine normalen Menschen. Sie legten ihn in einen
Plastiksack, dann in den Sarg ohne Kleidung, ohne Schuhe. Mich schmerzt so sehr,
dass er nicht wie ein normaler Mensch beigesetzt wurde. Bei demselben Angriff
kamen hier zwei Mädchen ums Leben.
Vater: Wir wohnten in Pristina. Die größte Angst hatte ich vor Terroristen aus
der Befreiungsarmee des Kosovo, die bereits damals dort am Werk war. Das war
ich, der darauf bestand, dass sie zu viert nach Murino gingen. Sie, das sind
meine 2 Töchter und 2 Töchter der Schwester meiner Frau. Ich selbst fuhr die
Kinder dorthin …
Vater: … Mein Schwager wollte sie dort besuchen. Die Mädchen wollten für ihn
einen Kuchen backen und gingen in den Laden, um Mehl zu kaufen. Die beiden
jüngeren spielten vor der Schule und die beiden anderen waren zusammen mit dem
Jungen Miroslav Knezevic. Auch er kam ums Leben. Gegen 9.00 Uhr abends hörte ich
im Rundfunk, dass Murino zerbombt worden sei und dass sechs Menschen gestorben
seien. Unter ihnen auch Flüchtlinge aus Pristina. Kinder. So erfuhr ich über die
Tragödie. Später besuchte mich ein Freund und als ich ihn sah, begriff ich alles
sofort. Ich fragte ihn nur: Sind sie alle tot? Warum das alles?
Das ist kein Kampf um das Territorium. Das ist ein Kampf für Menschlichkeit.
Unser Ziel ist weder Präsident Milosevic, noch das Volk Serbiens.
Die Luftoperation wird anhalten.
Vater des Opfers: Was ist die NATO? Für mich steht das Kürzel für Neue
Amerikanische Terror Organisation. Warum haben sie uns angegriffen? Wir haben
sie doch nicht provoziert. Wir sind doch kein militärisches Ziel. Das ist eine
kleine friedliche Stadt und sie haben unsere Kinder getötet. Hier sind 6
Menschen gestorben. Das ist zu viel für eine Ortschaft wie Murino.
Jelena: Anissa ist US-Bürgerin. Sie will verstehen, was hier tatsächlich
geschehen ist.
Mutter: Dass sie alle, die in der NATO sind, in der Hölle brennen. Tony Blair
erklärte lächelnd im Fernsehen, das wären Kollateralschäden gewesen.
Kollateralschäden. Sie töteten 3 wunderbare Kinder und sagten später, das wäre
ein Fehler gewesen. Am 11. September wurden bei ihnen 3 Gebäude gesprengt. Gott
bestrafte sie so für ihre Verbrechen. Ich freue mich so und es tut mir leid,
dass die Leute dort nicht einmal wissen, was hier alles vor sich ging. So fahren
Sie hin und sagen es ihnen, dass die Eltern des gestorbenen Kindes erklären, die
am 11. September in Amerika zerstörten Gebäude sind eure Strafe für die 3
getöteten Kinder in Murino. Sagen Sie es ihnen. Ich bemitleide die Leute, die da
starben. Es tut mir leid, dass sie dafür mit ihrem Leben gezahlt haben.
Wahnsinnige. Sie werden noch unter Orkanen und Tsunamis leiden. Ich bin mir
dessen sicher. Schade, dass die Terroristen nicht das Weiße Haus gesprengt
haben.
Vater: Schauen Sie, wie sie alles auf den Kopf stellen.
Hier ist eine Schlagzeile. Milosevic verliert 70 – 100 Soldaten und Polizisten
pro Tag. Das Foto unten ist vom Begräbnis unseres Miroslav. Und sie schreiben,
das sei ein Begräbnis eines Soldaten. Und in Wirklichkeit ist das unser Sohn.
Diese Lüge war in den Zeitungen. Wir hatten ihnen das Foto gegeben und uns nicht
einmal vorstellen können, dass sie so etwas veröffentlichen würden.
Mutter: Erzählt bitte allen, wie alles in Wirklichkeit war.
Anissa: Ich verspreche.
Mutter: Zeigt alles, was ihr gesehen habt.
Jelena: Wir werden das tun.
Anissa: Was werden Sie der Mutter sagen, die Sie unverwandt anschaut und fragt,
warum? Antworte mir, der Mutter, als Mutter, warum ausgerechnet mein Sohn und
nicht deiner?
Anissa: Ich glaube die Europäer und die Amerikaner verstehen nicht recht, was
das Kosovo für die Serben und für die Albaner bedeutet, und warum dieses
Territorium so heftig umkämpft wird.
Wie ist man historisch dazu gekommen? Warum sind die Albaner dort zur ethnischen
Mehrheit geworden und haben begonnen, das fremde Territorium zu beanspruchen?
Jelena: Damit du das besser verstehst, führe ich ein Beispiel an. Viele
Mexikaner kommen über die Grenze in die USA und bleiben dort in Los Angeles. Ihr
lasst sie durch, sie bekommen gewisse Rechte. Ich bin mir sicher, dass sie sogar
eigene Schulen haben, wo man Spanisch spricht.
Anissa: In den USA ist diese Frage sehr akut. Du meinst wohl etwa, dass es
Situationen gibt, wo eine Minderheit zu einer Mehrheit wird?
Jelena: Ja, aber kannst du dir vorstellen, dass die Einwanderer in den USA die
Unabhängigkeit eines Teils des Landes anzustreben beginnen? Und, dass ein
Drittland ihre Forderungen unterstützt und Washington bombardiert?
Anissa: Ich habe den Eindruck, als wäre die Stadt frisch aufgebaut.
Jelena: So ist es auch. Wir sind in Pristina. Das Einzige, was ich noch erkenne,
ist dieses Hotel, das hier schon seit eh und je stand. Der Rest ist eine riesige
Baustelle.
Jelena: Dieser Boulevard ist nach Bill Clinton benannt. Und hier steht ein
Denkmal für ihn und die US-Flagge.
Anissa: Ich finde es ziemlich ironisch, dass er einen Block mit dem Datum des
Beginns der Militärkampagne in der Hand hält.
Jelena: Die Albaner sind Clinton und den USA für ihre Unabhängigkeit dankbar,
obwohl die Kosovo Bewohner selbst Opfer des Angriffs wurden.
SKY NEWS: NATO-Flugzeuge beschossen eine Flüchtlingskolonne, die das Kosovo
verließ.
Aus Versehen wurden einige der Menschen getötet, die sie mit ihren Bombardements
schützen wollten.
Das ist ein Resultat der Politik von Milosevic: Wenn er nicht will, dass sich
Ähnliches wiederholt, muss er das Kosovo verlassen.
„Alles, was ich ihnen wünsche, ist eine helle Zukunft. Ich werde mein Bestes
tun, um euch zu unterstützen. Danke! Gott beschütze euch!“ (Worte, die er bei
einem Besuch einer „American School of Kosovo“ sagte.
Danke, Herr Präsident!
Jelena: Früher wohnten hier viele Serben. Und das hier, das war ein serbisches
Haus. Danach kamen die Albaner, zerstörten das Haus und hissten hier ihre Fahne,
damit man weiß, dass es albanisch ist.
Jelena: Also, wir sind in Kosovska Mitrovica. Zurzeit ist die Stadt in zwei
Zonen geteilt, und diese Brücke ist eine Art Grenze. Dieser Teil ist serbisch.
Daher sind hier die serbische und die russische Flagge.
Anissa: Warum hängt hier die russische Flagge?
Jelena: Die Serben wissen, dass die Russen wohl die Einzigen sind, die sie noch
schützen. Meine Großmutter lebte früher in jenem Stadtteil.
Anissa: Ist das nun das albanische Territorium?
Jelena: Ja, das albanische. Aber früher war das nicht so wichtig. Zu Zeiten
Jugoslawiens lebten dort zwar mehr Albaner. Sie lebten allerdings mit den Serben
durcheinander.
Anissa: Das Ergebnis ist, die Serben blieben auf ihrem Territorium und die
Albaner auf ihrem. Und nun leben sie in abstraktem Frieden mit verschwommenen
Grenzen.
Jelena: Ja.
Jelena: Okay, da sind Soldaten. Ich glaube, du kannst ihnen einige Fragen
stellen.
Anissa: Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen? Ist es hier sicher?
Soldat: Ja, ich glaube schon.
Jelena: Und ich möchte folgendes wissen: Gab es seit der letzten
Auseinandersetzung, die sich 2005 ereignet haben muss, neue Zusammenstösse
zwischen Serben und Albanern auf der Brücke?
Soldat: Naja, ich weiß nicht. Ich bin erst seit Kurzem hier im Kosovo.
Anissa: Wissen Sie, warum die NATO beschlossen hat, Jugoslawien zu bombardieren?
Soldat: Ja, das habe ich in den Nachrichten gesehen.
Ethnische Säuberungen. Ein wahrer Alptraum der Gegenwart.
Brutalität, Morde, Hinrichtungen.
Infolge der NATO-Bombardements wurden die serbischen Truppen aus dem Kosovo
abgezogen. Mehr als 200.000 ethnische Serben mussten ihre Heimat verlassen.
Jelena: Hier stand das Haus meiner Großmutter.
Anissa: In der albanischen Zone?
Jelena: Ja, in der albanischen. Aber jetzt kann ich diesen Ort nicht einmal
erkennen.
Anissa: Dieses Haus?
Jelena: Ich sehe die Adresse und verstehe, dass unser Haus einmal hier war.
Anissa: Aber jetzt hat dieser Ort nichts mit dem zu tun, den du als Kind besucht
hast.
Jelena: Gar nichts. Das Haus der Großmutter war groß, aber nicht so groß. Man
zwang sie wegzugehen. Ihre Nachbarn waren sowohl Serben, als auch Albaner. Sie
hatten ein gewöhnliches Leben wie alle gewöhnlichen Nachbarn. Sie war eine der
Wenigen, die nach der Militärkampagne hier geblieben sind. Als sie 1999 das
Kosovo verließ, blieb hier nur eine Familie. In einer Nacht kamen zur
Großmutter ihre albanischen Freunde und sagten: Es wäre besser, wenn du
weggingest. In der Befreiungsarmee des Kosovo, die sie selbst als terroristisch
bezeichneten, da sagt man, dass sie morgen hier herkommen und dich rauswerfen
werden, wenn du selbst nicht wegziehst.
Anissa: Und sie ging weg – wohin?
Jelena: Nach Belgrad.
Anissa: Zu euch? Sie kam zu euch?
Anissa: Fühlst du dich hier unwohl?
Jelena: Entschuldige.
Anissa: Als wir im Kosovo ankamen, wurde sie unruhig, nervös. Wir fuhren hin und
her. Ich glaube, es fällt ihr schwer, hier zu sein, den Ort zu sehen, wo einst
ihre Oma gelebt hatte. Während wir den Film drehten, war sie von Gefühlen
überwältigt. Außerdem hörten wir uns die Geschichten der Leute an, die ihre
Angehörigen verloren hatten, die man als sogenannte Kollateralschäden, also
Opfer des NATO-Angriffs, abgebucht hatte.
Anissa: Lass mich dich umarmen. Ich weiß, es ist dir nicht wohl zumute. Ist
alles in Ordnung?
Jelena: Ja.
Jelena: Ich war hier bloß so lange nicht mehr.
Anissa: Ja. Wir haben so viele Menschen interviewt. Du hast dir ihre Geschichten
als Journalistin angehört und nun …
Jelena: Ich habe jenen Teil des alten Hauses erkannt. Das einzige Stück, das
noch bleibt. Es gehört nicht einmal dem Haus meiner Großmutter, sondern dem der
Nachbarn. Aber es hat dieselbe Farbe. Deswegen hab ich mich dran erinnert.
24. März 1999 – 10. Juni 1999
Die NATO flog insgesamt 2.300 Raketen- und Bombenangriffe auf 990 Objekte in
Jugoslawien. Es wurden 14.000 Bomben abgeworfen.
Rund 300 Schulen, Fabriken und Krankenhäuser wurden vernichtet.
Mehr als 2.000 Zivilisten, unter ihnen 88 Kinder kamen ums Leben.
Über 8.000 Menschen wurden verletzt.
Ein Film von
Jelena Milincic
Anissa Naouai
Projektleitung: Wiktoria Woronzowa
Regie: Pawel Baydikov
Schwester: Vielleicht hätten wir es nicht geschafft, alles einleuchtend zu
erklären, was damals hier passiert war.
Freundin: Nicht einmal wir sind uns im Klaren darüber, was damals alles geschah.
Ich glaube, dass ein Mensch, der das alles nicht durchgemacht hat, dies einfach
nicht begreifen kann.
Kamera:
Wladimir Batalin
Alexandr Tschekulajew
Jelena: Das ist eine der Bomben, die man auf dieses kleine Dorf abgeworfen hat.
Sie ist ungefähr fünf Meter gross.
Anissa: Sie ist mindestens dreimal so gross wie du. Jelena: Ja.
Anissa: Ist es nicht gefährlich, dass sie hier seit einer so langen Zeit
herumsteht?
Jelena: Ich hoffe sehr: nein!
Schnitt: Nikolaj Gorochow
Grafik: Jelena Petrowa
Anissa: Danke für das Gespräch. Ich weiss, das war schwierig. Frau: Du bist eine
Ausnahme. Anissa: Ja.
Musik: Xenia Prassolowa
Co-Produzenten: Vlada Radoicic, Bojan Brkic
An dem Film haben mitgewirkt:
ZORAN NOGIC
JELENA PANTIC
SINISA NIKOLIC
GORAN MIKIC
BOBAN KOSTIC
DRAGAN CIRIC
IVANA TABORI
TATJANA MILINCIC
DR. SLOBODAN IVANOVIC
MIRCO KNEZEVIC
MOMA KNEZEVIC
BRANCO BRUDAR
Archivbilder: RTS
RT “TV-NOVOSTI“ 2014
von mv.
Quellen/Links:
https://deutsch.rt.com/gesellschaft/37470-rt-exklusiv-doku-warum-geschichten/
Link zum Originaltext bei ' kla.tv ' ..hier
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Tags:
Serbien, Völkermord völkerrechtswidriger Angriffskrieg, Nato, Film WARUM |
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