20.05.2019 00:00 EU - Die Anti-Demokratie Die EU wird von Eliten gesteuert, die das Volk systematisch von
Mitbestimmung ausschließen. Exklusivabdruck aus „Der Tiefe Staat schlägt zu“.
— Im Gegensatz zur veröffentlichten Meinung ist die Europäische Union ein
Herrschaftsprojekt von Konzern- und politischen Eliten Europas. Der Wählerwille
spielt keine Rolle. Die bevorstehenden Wahlen zum europäischen Parlament
suggerieren den Wählern die Möglichkeit der Einflussnahme auf die politischen
Entwicklungen Europas, die realiter gar nicht gegeben ist. Zum einen betreiben
die Herrschaftskasten des EU-Projekts rücksichtslos die Entdemokratisierung der
Nationalstaaten... [Quelle:
rubikon.news] JWD
...Zum anderen sorgen sie peinlich genau dafür, dass auf der europäischen Ebene
die Demokratie vollends zur Fassadenveranstaltung verkommt. Hannes Hofbauer
seziert in seinem Beitrag „Europäische Union: dem Kapital ergeben, der
Demokratie abhold“ zum Buch „Der Tiefe Staat schlägt zu – wie die westliche Welt
Krisen erzeugt und Kriege vorbereitet“ die Machtstrukturen der Europäischen
Union.
Quelle: rubikon.news (verlinkt) | Foto: AB Visual
Arts/Shutterstock.com
Quelle: rubikon.news | 18.
Mai 2019
Von Hannes Hofbauer
Den meisten Menschen ist nicht bekannt, dass das Projekt
der Europäischen Union Vorstellungen eines deutschen Großraumes folgt, die schon
in der Vergangenheit sehr viel Unheil angerichtet haben. Die aktuelle Struktur
des EU-Projektes missachtet grundlegende demokratische Prinzipien wie die
Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive, indem sich nationale
Exekutiven ohne entsprechende Legitimität auf EU-Ebene zur Legislative
ermächtigen. Zudem bietet die Parallelität von ökonomischer Konvergenz und
sozialer Divergenz gerade den mächtigsten Kapitalgruppen ideale Voraussetzungen,
auf Basis extrem ungleicher nationaler Arbeits- und Sozialregeln sowie Lohnhöhen
im wirtschaftlich harmonisierten Großraum Profite einzufahren.
Landläufig betrachtet wurzelt die Europäische Union im deutsch-französischen
Kohlepakt, der als „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)“ im
Sommer 1952 in Kraft trat. Diese vom damaligen französischen Außenminister
Robert Schumann angestoßene Montanunion, der bald darauf Italien, Belgien,
Luxemburg und die Niederlande beitraten, schlug unmittelbar im Anschluss an die
vier Jahre des Marshall-Planes die Eckpfeiler für eine wirtschaftsliberale
Politik in Westeuropa ein. Verboten wurden Ein- und Ausfuhrzölle, mengenmäßige
Beschränkungen des Warenverkehrs sowie staatliche Subventionen und Beihilfen.
Dem Kapital öffneten sich Tür und Tor, vorerst freilich beschränkt auf die
wichtigen Sektoren Bergbau und Metallindustrie und die spätere Kernzone der
Europäischen Union.
Die Idee zum Aufbau eines großen europäischen Wirtschaftsraumes, der den
stärksten Kapitalgruppen optimale Verwertungsbedingungen garantiert, ist indes
älter als der deutsch-französische Kohlepakt. Bereits mitten im Ersten Weltkrieg
entwickelte der Politiker Friedrich Naumann, Mitglied des deutschen Reichsrates,
Großraumpläne für den europäischen Zentralraum. Sein Plädoyer für eine deutsch
geführte Wirtschaftsgemeinschaft erschien 1915 unter dem programmatischen Titel
„Mitteleuropa“ (1). Das eben erst in Gang gekommene Völkerschlachten schien ihm
die beste Gelegenheit für visionäre Nachkriegsvisionen. In Abgrenzung zu den
damaligen Kriegsgegnern forderte Naumann einen mitteleuropäischen
Zusammenschluss vom Rhein bis an die russische Grenze. Er schrieb:
„Mitteleuropa wird im Kern deutsch sein, (...) muss aber vom ersten Tag an
Nachgiebigkeit und Biegsamkeit gegenüber allen mitbeteiligten Nachbarsprachen
zeigen, weil nur so die große Harmonie emporwachsen kann, die für einen
allseitig umkämpften und umdrängten Großstaat nötig ist“(2).
Die von Naumann imaginierten führenden Teilnehmer an diesem Projekt, das
wilhelminische Preußen und das habsburgische Österreich-Ungarn, gingen kurz
darauf unter. Doch bis zur nächsten europäischen Großraumidee dauerte es keine
zwei Jahrzehnte. Und wieder ging diese Idee von Berlin aus.
Auch wenn das heutzutage niemand hören will:
Die Idee des deutschen Vormarsches unter nationalsozialistischer
Flagge war eine europäische.
Einblick in die Ausgestaltung des damaligen Europagedankens gibt eine
Denkschrift des Industriellen und Leiters der Abteilung Außenhandel im
Außenpolitischen Amt der NSDAP, Werner Daitz, die er anlässlich der Eröffnung
der „Zentralstelle für europäische Großraumwirtschaft“ im Jahr 1936
veröffentlichte. Darin schrieb Daitz:
„Europa den Europäern! (...) Deutschland, in der Mitte des europäischen
Kontinents gelegen, ist an erster Stelle verpflichtet, die Aufgabe der
Errichtung einer kontinentaleuropäischen Großraumwirtschaft nicht nur zu
verkünden, sondern auch handelspolitisch-praktisch zu betätigen. Deutschland ist
in dieser Hinsicht verantwortlich für Europa“ (3).
Der Überfall auf Polen im September 1939 änderte an der Europastrategie des
deutschen Kapitals nichts. Figuren wie Werner Daitz, seit 1931 auch Mitglied der
NSDAP-Reichsleitung, gaben die Richtung vor:
„Wenn wir den europäischen Kontinent wirtschaftlich führen wollen, wie dies aus
Gründen der wirtschaftlichen Stärke des europäischen Kontinents als Kernraum der
weißen Rasse unbedingt erforderlich ist und eintreten wird, so dürfen wir aus
verständlichen Gründen diese nicht als eine deutsche Großraumwirtschaft
öffentlich deklarieren. Wir müssen grundsätzlich immer von Europa sprechen, denn
die deutsche Führung ergibt sich ganz von selbst …“ (4).
Nach zwei verlustreichen Kriegsjahren an der Ostfront hörte sich die
möglicherweise bereits unter dem Eindruck einer drohenden Niederlage entworfene
Europaidee im Auswärtigen Amt der NSDAP am 9. September 1943 dann folgendermaßen
an:
„Die Einigung Europas, die sich in der Geschichte bereits seit längerem
abzeichnet“, heißt es da angesichts der Millionen von Kriegsopfern in zynischer
und dennoch in die Zukunft weisender Art, „ist eine zwangsläufige Entwicklung.
(...) Europa ist zu klein geworden für sich befehdende und sich gegenseitig
absperrende Souveränitäten. (...) Der europäische Staatenbund muss die
Gemeinschaft möglichst aller europäischer Staaten sein. (...)
Es war ein schwerer politischer Fehlgriff, dass die Mächte, die nach Beendigung
des ersten Weltkrieges die Verantwortung für die Ordnung Europas hatten, den
Unterschied zwischen Siegern und Besiegten zu verewigen suchten. Dieser
Fehlgriff darf nicht wiederholt werden, vielmehr wird den besiegten Staaten in
der neuen Gemeinschaft der europäischen Völker von Anfang an ein
gleichberechtigter Platz einzuräumen sein, wenn sie bereit sind, an dem Aufbau
des neuen Europa legal und positiv mitzuarbeiten. (...) Die Zeit der
europäischen Binnenkriege muss beendet und der europäische Partikularismus
überwunden werden“ (5).
Dem letzten Satz würde kaum jemand eine NS-Feder bescheinigen, und dennoch, er
stammt aus einem nazideutschen Archiv.
Es gibt also, insbesondere bei der Durchsicht wirtschafts- und geopolitischer
NS-Schriften, nicht nur den großen historischen Schnitt des Jahres 1945 mit dem
Sieg der Alliierten über Hitler-Deutschland, wie er in der heute gängigen
Geschichtsschreibung post factum als ausschließliche historische Interpretation
verbreitet wird, sondern es existieren auch Kontinuitäten über die Niederlage
der Wehrmacht hinaus. Entsprechende europapolitische Vorstellungen vor und nach
1945 belegen dies, ganz abgesehen davon, dass derlei Kontinuitäten auch
personell nachgezeichnet werden können. Hermann Josef Abs, jahrzehntelanges
Vorstands- und Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank (seit 1938) steht
idealtypisch für das Bild eines nach den Kapitalbedürfnissen ausgerichteten
Europa. Auf einem Vortrag im Oktober 1940 entwickelt er seine Vorstellungen
davon:
„Heute bietet der europäische Raum unserer politischen Einflusssphäre reiche und
lohnende Möglichkeiten, um den Rahmen unserer Leistungsfähigkeit zu füllen. Die
Aufgaben, die hier der Lösung harren, sind so groß, daß neben uns auch unsere
hochentwickelten Nachbarländer ein weites Feld für ihre Kapitalausfuhr finden
werden“ (6).
Abs war bis 1976 Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank, danach deren
Ehrenvorsitzender, er hatte stets das große Ganze im Blick — für die Deutsche
Bank und das deutsche Kapital.
Die Europaidee wird imperial
Die Teilung Deutschlands und die Einbindung Westeuropas in die militärische
transatlantische Allianz der US-geführten NATO und die wirtschaftliche Logik
eines US-dominierten Weltmarktes besiegelten das Ende eines selbständigen
europäischen Großraumprojektes; allerdings nur vorläufig. Im Vertrag von Rom
1957 mutierte die Montanunion der sechs Mitglieder zur Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die in der Folge den gemeinsamen Agrarmarkt (seit
1962) mit hohen Zöllen gegen die Erzeugnisse der „grünen Revolution“ in Afrika,
Lateinamerika und Asien abschottete. Dieser Protektionismus hatte einerseits zur
Folge, dass den Ländern des Südens für ihre wichtigsten Produkte Absatzmärkte
verschlossen bzw. erschwert wurden und andererseits, dass die Preise von
landwirtschaftlichen Produkten in Westeuropa hoch blieben.
Gleichzeitig entstanden in den 1960er-Jahren im damals „Dritte Welt“ genannten
„Globalen Süden“ Weltmarktfabriken und Freie Produktionszonen, in denen billige
lokale Arbeitskräfte für den Weltmarkt produzierten. Die Mischung aus Schutzzoll
für Agrargüter, Verlagerung ausgereifter Industrien an Billiglohnstandorte und
erzwungenen Marktöffnungen für die europäische Exportwirtschaft mündete in ein
System des ungleichen Tausches, in dem arme, strukturschwache Regionen zu vom
Weltmarkt abhängigen Peripherien wurden.
EU-Osterweiterung
Im Mai 1993 war die Ratifizierung des Maastricht-Vertrages durch mittlerweile
zwölf EG/EU-Mitglieder abgeschlossen. Der Vertrag veränderte den Charakter
Europas, indem er aus einer Wirtschaftsgemeinschaft einen ökonomisch, währungs-
und außenpolitisch einheitlichen Großraum formte, der freilich nicht so genannt
wurde. Die neue Hauptstadt heißt nun Brüssel und das Gebilde „Europäische
Union“.
Vorausgegangen war dieser Transformation der Zusammenbruch der Sowjetunion und
des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe im Jahr 1991. Maastricht war also
auch eine institutionelle Vorbereitung auf die wirtschaftliche und geopolitische
Expansion Westeuropas, die in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre in Angriff
genommen wurde. Im Namen der Markterweiterung galt es, politische Kompetenzen
der einzelnen Mitgliedsstaaten zu beschneiden, damit etwaiger über Wahlen
geäußerter Volkswille keinen allzu großen Schaden anrichten konnte. Als
Triebkraft fungierte — wiederum — das deutsche Kapital mit seinem legendären
Drang nach Osten. Dieser stand sowohl als Absatz- wie als Arbeitsmarkt weit
offen und bot sich als Mittel zur Überwindung struktureller kapitalistischer
Überproduktionskrisen an.
Die dortigen alten, kommunistischen Eliten hatten abgedankt, fügten sich in die
neue Logik der Kapitalherrschaft administrativ ein oder wurden im Falle von
Unbrauchbarkeit oder Widerstand erschossen wie Rumäniens Nicolae Ceau?escu 1989
bzw. weggesperrt wie Serbiens Slobodan Miloševic 2001. Wer neue,
postkommunistische souveränistische Töne anschlug und gegen den in Maastricht
postulierten ungehinderten Verkehr von Kapital, Waren, Dienstleistungen und
Arbeitskraft nationale Akzente setzen wollte, wie Ion Iliescu in Rumänien
(1990-1996) oder Vladimír Meciar (1990-1998) in der Slowakei, wurde
EU-europäisch gemobbt und durch willfährigeres Personal ersetzt. Auch innerhalb
der Europäischen Union erfolgte mit Maastricht eine radikale
Kompetenzverschiebung.
Der sogenannte EU-Rat, ein aus den nationalen
Exekutiven zusammengesetzter Körper sowie die von ihm bestimmte
EU-Kommission übernahmen weitgehend die bisherigen Agenden der
Nationalstaaten.
Wirtschaft und Außenpolitik, Finanz- und Währungspolitik, das Agrarwesen,
Verkehr sowie Forschungs- und Technologiepolitik sind seit Maastricht
Unionsfragen. Im nationalen Rahmen verblieben die Sozialpolitik, Kultur und
Sport sowie Justiz und Inneres; seit dem Vertrag von Lissabon (2007) gebietet
Brüssel auch über die beiden letzteren bzw. werden diesbezügliche Gesetzgebungen
im sogenannten „Mitentscheidungsverfahren“ zur Regel, mit anderen Worten: Die
EU-Kommission gibt die Regel vor und das EU-Parlament darf mitentscheiden.
Zur unionsweiten Durchsetzung der Großraumidee wurde ein enges budgetäres
Korsett geschnürt: die Maastricht-Kriterien. Diese folgen dem monetaristischen
Austeritätsgedanken wirtschaftsliberaler Apologeten und engen den Spielraum
nationaler Politik extrem ein. Forthin darf die zulässige nationale
Inflationsrate nicht mehr als 1,5 Prozent über jener der drei Mitgliedsstaaten
mit der niedrigsten Inflationsrate liegen, das jährliche Haushaltsdefizit 3
Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht übersteigen und die
Staatsverschuldung nicht über 60 Prozent des BIP liegen.
Beschlossen wurden die Maastricht-Kriterien — sowie alle nachfolgenden EU-Regeln
— vom dafür demokratisch nicht legitimierten EU-Rat, der sich aus den
Ministerpräsidenten der Mitgliedsstaaten zusammensetzt, mögen sie auch unter
Bezeichnungen wie „Kanzler“ oder „Premierminister“ firmieren, . Wie das
lateinische Wort „minister“ aussagt, „dienen“ diese den nationalen Parlamenten,
also den jeweiligen gewählten Abgeordneten, die auch auch die Regierung
bestellen. Auf EU-Ebene erheben sich diese „Diener des Volkes“ allerdings selbst
von der nationalen Exekutive zur supranationalen Legislative, ein vollkommen
undemokratischer Vorgang, der weiter unten im Zusammenhang mit dem Vertrag von
Lissabon noch behandelt wird. Das Prinzip jeder bürgerlich-parlamentarischen
Demokratie, die Trennung von Legislative und Exekutive, ist auf EU-Ebene
ausgehebelt.
Mit der Supranationalisierung der wirtschafts-, finanz- und währungspolitischen
Angelegenheiten und dem gleichzeitig in nationaler Verantwortung verbliebenen
Sozialbereich ist es der EU mit Maastricht gelungen, ökonomisch konvergent und
sozial sowie steuerpolitisch divergent zu agieren; das bedeutet, dass es zwar
überall freie Fahrt für Kapital, Waren, Dienstleistungen und Arbeitskraft gibt,
Sozialgesetze und Steuern jedoch kräftig divergieren können. Um Investitionen
anzulocken, kann also von den einzelnen Nationalstaaten ein sozial- und
steuerpolitischer Wettlauf nach unten stattfinden … und genau dies geschieht.
Brüssel ficht das nicht an, im Gegenteil: es wacht darüber.
Bezüglich ihrer Investitionen ist diese Schere optimal für EU-weit tätige
Konzerne. Sie brauchen die teure sozial- oder steuerpolitische nationale
Regulierungen aufgrund des EU-weiten Konkurrenzkampfes um
Unternehmensansiedlungen kaum zu fürchten und profitieren zugleich von den
Unterschieden bei Löhnen, Arbeitsrechten und insbesondere auch Steuern. Und
diese Unterschiede sind gewaltig.
Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Maastricht-Vertrages Mitte der 1990er-Jahre
war eine Industriearbeiterstunde in Bulgarien 20 Mal billiger als eine in
Deutschland, ein Vierteljahrhundert später beträgt die Differenz immer noch 1:8.
Damit lässt sich von Unternehmerseite vorzüglich jonglieren, zumal den
Nationalstaaten die Möglichkeit genommen wurde, politisch in Wirtschaftsfragen
zu intervenieren. Nach drei Erweiterungsrunden in den Jahren 2004 (Slowenien,
Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen, die drei baltischen Republiken sowie Malta
und Zypern), 2007 (Rumänien und Bulgarien) und 2013 (Kroatien) umfasst der
EU-Großraum (ohne das Vereinigte Königreich) im Jahr 2019 3,9 Millionen
Quadratkilometer und eine EinwohnerInnenzahl von 446,5 Millionen.
Brüssels totalitärer Anspruch
Auf dem Weg in Richtung Verfestigung suprastaatlicher Strukturen ließen sich die
demokratisch dafür nicht legitimierten Organe der Europäischen Union auch von
drei Referenden in Frankreich (2005 mit 55,7 Prozent Nein-Stimmen), den
Niederlanden (2005 mit 61,5 Prozent Nein-Stimmen) und Irland (2008 mit 54,4
Prozent Nein-Stimmen) nicht abhalten. Volksmehrheiten gegen die Ausschaltung
nationalstaatlicher Souveränität wurden übergangen und Ende 2009 statt des
sogenannten Verfassungsvertrages ein nur kosmetisch veränderter Vertrag von
Lissabon in Kraft gesetzt.
Von der medial oft herbeigeredeten
Demokratisierung ist allerdings nicht viel zu sehen. Im Gegenteil.
Seit „Lissabon“ gibt es die Ämter eines Präsidenten des EU-Rats und
eines EU-Außenministers, die üblicherweise mit daheim verbrauchten
PolitikerInnen besetzt werden und die sich keiner Volkswahl stellen
müssen.
Dem ebenfalls nicht gewählten EU-Rat verbleibt die alleinige Entscheidungsgewalt
über außen- und militärpolitische Fragen, das alleinige Vorschlagsrecht für
sämtliche Posten der EU-Kommission sowie die Hoheit über das EU-Budget,
insbesondere die Einnahmen. Das EU-Parlament fungiert auch nach „Lissabon“ als
Anhängsel ohne eigenes parlamentarisches Initiativrecht. Die mit großem Tamtam
alle fünf Jahre gewählten EU-Volksvertreter müssen sich mit dem sogenannten
Mitentscheidungsverfahren begnügen, wie die demokratische Ohnmacht im EU-Sprech
umschrieben wird.
Die tatsächliche Macht geht von starken Kapitalgruppen aus, die mangels
demokratischer Kontrolle leichtes Spiel mit der EU-Kommission haben. Auf dem
Brüsseler EU-Gipfel vom 30. Januar 2012 beschlossen dann 25 von 27
Regierungschefs (London und Prag stimmten dagegen) ihre eigene nationale
Entmachtung. Unter dem Kürzel Fiskalpakt wurde auf Drängen des Internationalen
Währungsfonds ein Durchgriffsrecht Brüssels auf die einzelstaatlichen Haushalte
und eine sogenannte Schuldenbremse beschlossen. Das anfangs nur für
„Defizitsünder“ gültige Verfahren wurde ein Jahr später unter der Bezeichnung „Two
Pack“ auf alle EU-Staaten ausgeweitet.
Seither ist der Kernbestandteil eines jeden parlamentarisch verfassten Staates,
die Budgethoheit, ausgehebelt und der Kontrolle der EU-Kommission unterworfen.
Bis zum 15. Oktober müssen sämtliche EU-Staaten ihre Haushaltspläne für das
jeweils kommende Jahr — Bittstellern gleich — nach Brüssel zur Kontrolle
schicken und auf Genehmigung hoffen. Dem Fiskalpakt liegt somit die autoritäre
Idee einer Notverordnung zugrunde, die in gewählten nationalen Parlamenten
potentielle Gefährder ihres den Kapitalinteressen ergebenen Großraumprojektes
sieht. Nationale sozial- und steuerpolitische Eingriffe, die Kapital und
Vermögen teuer zu stehen kommen, konnten damit — entsprechend der engen
Maastricht-Kriterien — auf ein Minimum beschränkt werden.
Sollte eine Regierung dennoch eine eigenständige nationale Politik versuchen,
holen die Kommissare und ihre EU-affinen Medien die Populismus-Keule aus dem
Köcher und überziehen die unwilligen Parlamente oder Regierungen, die den
Brüsseler Vorgaben nicht zu 100 Prozent folgen, mit dem zum Schimpfwort
degenerierten lateinischen Vokabel für Volk: Populist. Wenn die Populismus-Keule
nicht die gewünschte Schlagkraft erzielt, kommen juristische Verfahren und
politische Drohungen zum Zug. Am Brüsseler Pranger drängen sich mittlerweile die
Delinquenten.
Das Beispiel Italien
„Roms Budgetpläne alarmieren Brüssel und Börsen“ (7). Mit Titeln wie diesem
überschrieben Ende September 2018 meinungsbildende Medien ihre Beiträge über die
Veröffentlichung des Haushaltsplans der italienischen Regierung. Die
Frontstellung kann deutlicher nicht zum Ausdruck gebracht werden. Auf der einen
Seite steht eine gewählte Regierung, ihr gegenüber eine vom EU-Rat ohne
demokratische Legitimation bestimmte EU-Kommission und die Börsen, vulgo auch
„Märkte“ genannt. Zu verinnerlicht haben Mainstream-Journalisten die für sie
alternativlose Brüsseler Herrschaft, als dass ihnen die eigentlich entlarvende
Botschaft solcher Überschriften auffiele. Mit erstaunlichem Selbstverständnis
steht die Journaille auf Seiten des autoritären Suprastaates und der
Kapitalherrschaft gegen den „Populismus“, der im Falle Italiens Ende 2018 als
„Koalition linker und rechter Populisten“ umschrieben wird.
Die tatsächlich seltsame Koalition aus „Lega“ und „Fünfsterne-Bewegung“ legte
also Ende September 2018 ihre erste in Zahlen gegossene Politik, den
Budgetentwurf für 2019, vor. Die darin enthaltene Neuverschuldung wurde mit 2,4
Prozent des BIP ausgewiesen, verblieb also innerhalb der Maastricht-Vorgaben.
Weil aber die Staatsverschuldung mit 130 Prozent weit jenseits der von der EU
erlaubten 60-Prozent-Marke lag, empörte sich der für die fiskalische Zwangsjacke
zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici und schnellten die Renditen für
kurzfristige italienische Staatsanleihen in die Höhe.
Brüssel erwartete einen Kniefall vor dem
Kapital, also den „Märkten“, wie ihn Jahre zuvor die linke
griechische Regierung gemacht hatte, nachdem sie vom Volk per
Referendum mit dem Gegenteil beauftragt worden war.
Was erregte die Kommissions- und Börsengemüter dermaßen, dass sich Rom sogleich
mit Drohungen konfrontiert sah? Der italienische Budgetentwurf für 2019 sah ein
bedingungsloses Grundeinkommen für Arbeitslose über einen Zeitraum von maximal
drei Jahren vor, eine Erhöhung der Mindestpensionen von 500 auf 780 Euro und
eine ebensolche Anhebung der Sozialhilfe sowie für kinderreiche Familien die
Verteilung von pachtfreiem, kostenlosem Ackerland inklusive Gewährung eines
zinsfreies Darlehens auf 20 Jahre.
Des Weiteren sollten Kleinbetriebe weniger Einkommenssteuer zahlen und ein
staatliches Programm für öffentliche Investitionen vor allem in die
Infrastruktur aufgelegt werden — kurz davor war am 14. August 2018 die privat
betriebene Autobahnbrücke in Genua zusammengebrochen. Zusätzlich dazu wollte die
Links-Rechts-Regierung liberale Gesetze ihrer Vorgänger, die von
Sozialdemokraten beschlossen worden waren, rückgängig machen. Dazu gehörten die
Streichung der Erhöhung des Pensionsalters, das von 65 auf 67 Jahre angehoben
worden war, sowie das Aus für die 2019 geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer von
22 auf 24,2 Prozent.
Brüssel und die Börsen waren alarmiert. Warum? Weil mit Grundeinkommen
ausgestattete Arbeitslose vielleicht demnächst nicht mehr so billig am
Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen? Weil Kleinbetriebe gegenüber monopolistisch
auftretenden Großkonzernen am Leben erhalten werden? Weil kinderreiche Familien
ihre Subsistenzgrundlage verbessern könnten? Weil Die Idee, die Infrastruktur
wieder zu verstaatlichen oder Überlegungen Schule machen könnten, wie man die
Staatseinnahmen zu Lasten des Kapitals erhöhen könnte, wenn mit der ständigen
Erhöhung von Massensteuern wie der Mehrwertsteuer einmal Schluss ist? Ob solcher
Aussichten sind Finanzmärkte und Kapital ihrem Interesse folgend zu Recht
alarmiert; und die Empörung Brüssels zeigte, auf welcher Seite die EU-Bürokratie
stand und steht.
Am 23. Oktober 2018 lehnte die EU-Kommission in einem bis dahin beispiellosen
Vorgang den Budgetentwurf eines Mitgliedsstaates — Italiens — „folgerichtig“ ab
und gab Rom drei Wochen Zeit für „Nachbesserungen“, sprich: für die Streichung
sozialer Maßnahmen. Weil die Koalition aus Lega und Fünfsterne-Bewegung trotz
medialen Dauerfeuers standhielt und den Austeritätsbegehren aus Brüssel nicht
nachgab, erhöhte die EU-Kommission den Druck. Am 21. November 2018 ebnete die
EU-Kommission den Weg für ein sogenanntes Defizitverfahren gegen Italien.
Kniefall oder Strafzahlung lautete die Botschaft, letzteres war bis zu diesem
Zeitpunkt noch an keinem EU-Mitgliedsland durchexerziert worden, könnte sich
aber für Rom bei weiterer Weigerung, den neoliberalen Vorgaben zu trotzen, mit
0,5 Prozent des BIP, geschätzten 9 Milliarden Euro, negativ zu Buche schlagen
(8). Bei Redaktionsschluss dieses Buches scheint Brüssel — mit Hilfe der
„Märkte“ — zu allem entschlossen.
Das Beispiel Polen
Gänzlich anders gelagert ist der Konflikt zwischen Brüssel und Warschau um die
Frage der Souveränität einer nationalen Justiz. Doch auch hier geht es letztlich
um den Totalitätsanspruch Brüssels. Zwar verblieb die Rechtspflege nach
„Maastricht“, anders als in der Wirtschafts-, Außen- und Militärpolitik, in
nationaler Oberhoheit, aber nach „Lissabon“ griff der Arm der EU-Kommission auch
in der Justiz länger und begehrlicher aus. Brüssel hat Warschau bereits zwei
Klagen angehängt, um die von der rechten Regierung unter der Partei „Recht und
Gerechtigkeit“ (PiS) beschlossene Justizreform zu Fall zu bringen. In einem
sogenannten Artikel-7-Verfahren soll eine „Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit“
geprüft werden und ein Eilverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof soll das
polnische Gesetz über die Herabsetzung des Pensionsalters für Höchstrichter von
70 auf 65 Jahre zu Fall bringen.
Auf den ersten Blick sieht das so aus, als ob Brüssel prinzipiell gegen
niedriges Pensionsalter ist, doch anders als im Fall Italien, wo die EU aus
Kapitalüberlegungen längere Arbeitszeiten favorisiert, birgt der polnische Fall
brisanten parteipolitischen Sprengstoff.
Die Ausgangslage ist eine machtpolitische. Die nationalkonservative
PiS-Regierung sah sich seit ihrem Amtsantritt im November 2015 mit einem ihr
feindlich gesinnten Justizpersonal, das aus Kommune-Zeiten (wie die
kommunistische Phase in Polen oft genannt wird) und von liberalen
Vorgängerkabinetten stammt, konfrontiert. Dieses loszuwerden, hat sie sich zur
Aufgabe gemacht. Brüssel steht dagegen; nicht deshalb, weil die Kommissare
personelle Änderungen ablehnen, sondern weil die PiS ihnen nicht genehme
Personen in höchste Richterämter heben will.
Wenige Monate vor dem Wahlsieg der PiS vom 25. Oktober 2015 hatte nämlich die in
Umfragen bereits weit zurückliegende liberale Bürgerplattform (PO) ein neues
Gesetz über den Verfassungsgerichtshof beschlossen, obwohl der polnische
Präsident Andrzej Duda appellierte, keine vorschnellen Änderungen im
Justizsystem zu beschließen. Dann wurden in der Parlamentssitzung am 8. Oktober
2015 unmittelbar vor den Wahlen noch rasch fünf neue Verfassungsrichter
eingesetzt, obwohl deren Posten erst nach den Wahlen im November und Dezember
frei werden sollten. Der liberale Vorgriff auf das Justizpersonal erfolgte mit
Kalkül: Die Richter des obersten Gerichts sollten auch nach der verlorenen Wahl
politisch entlang der von 39,9 Prozent auf 24,1 Prozent zusammengeschrumpften,
nunmehrigen Opposition ausgerichtet werden. Brüssel ließ sich über diesen
seltsamen Vorgang nicht vernehmen; es waren immerhin die „richtigen“ Richter auf
zweifelhafte Art bestellt worden.
Der neue, von der PiS dominierte Sejm, das polnische Parlament, hob die
Ernennungen der fünf PO-Richter auf, in zwei Fällen gab der
Verfassungsgerichtshof diesem Vorgehen statt, die anderen drei Fälle blieben
strittig. Nun gingen die rechten Nationalkonservativen ihrerseits daran, die
personelle Zusammensetzung des Verfassungsgerichts mit einem Pensionstrick zu
ändern und beschlossen ein Gesetz, das den Ruhestand für Höchstrichter von 70
Jahren auf 65 Jahre vorverlegt. Dieses betrifft 16 von 27 Richtern, was PiS
genug Handhabe für die Ernennung von neuem, den Rechten ergebenem Personal gibt
(9).
Darüber tobt Brüssel. Sein Umgang mit der Rechtsstaatlichkeit ist allerdings,
wie wir im Rückblick auf die gesamte Entwicklung der Frage des Justizpersonals
in Polen gesehen haben, ein instrumenteller. Denn während die fragwürdige
Ernennung von Richtern durch Parteifreunde des EU-Ratsvorsitzenden Donald Tusk
mit schweigender Zustimmung quittiert wurde, setzten die EU-Granden alle Hebel
in Bewegung, um personelles Revirement durch die PiS, das nicht ins liberale
Konzept passt, zu verhindern.
Mitte Oktober 2018 erließ dann der Europäische Gerichtshof in Luxemburg eine
einstweilige Verfügung, mit der er tief in die polnische Souveränität eingriff.
Die Herabsetzung des Pensionsalters für die obersten Richter von 70 Jahren auf
65 Jahre wurde sistiert, Polen musste der Anordnung folgen und bestätigte dies
auch im Monat darauf. Damit, so der Tenor bei EU-Kommission und deren medialen
Sprachrohren, sei die Unabhängigkeit der polnischen Justiz wieder hergestellt
... indem sie von Brüssel abhängig gemacht wurde, möchte man hinzufügen.
Demokratiefreie Herrschaftsarchitektur
Die politischen und juristischen Organe der Europäischen Union haben es sich zur
Aufgabe gestellt, ihnen nicht genehme Äußerungen von nationaler, regionaler oder
sozialer Souveränität zu diskreditieren und in weiterer Folge zu bekämpfen. Sie
tun dies im Interesse großräumig agierender Kapitalgruppen, denen Grenzen
generell — ob räumlich oder sozial — hinderlich sind. Brüssel verwaltet dafür
die vier Kernelemente der Profitwirtschaft, den freien Verkehr von Kapital,
Waren, Dienstleistungen und Arbeitskraft.
Um des Volkes Stimme ignorieren zu können,
falls es irgendwo aufbegehrt, wurde eine Struktur gezimmert, die in
jedem nationalstaatlichen, bürgerlich-parlamentarischen System als
undemokratisch gelten würde.
Die Einsetzung der EU-Regierung, vulgo: Kommission, erfolgt nicht durch
Volksvertreter, sondern durch dafür nicht gewählte nationale Regierungschefs,
die ihrerseits an den Lippen und oft sogar an den Finanztröpfen der „Märkte“
hängen.
Quelle: rubikon.news (verlinkt)
Quellen und Anmerkungen:
(1) Friedrich Naumann, Mitteleuropa. Berlin 1915
(2) (2) Naumann, zit. in: Reinhard Opitz (Hg.), Europastrategien des deutschen
Kapitals 1900 — 1945. Bonn 1994, S. 341
(3) (3) Denkschrift von Werner Daitz über die Errichtung einer Zentralstelle für
europäische Großraumwirtschaft, zit. in: Opitz 1994, S. 630
(4) Denkschrift von Werner Daitz über die Errichtung eines Reichskommissariats
für Großraumwirtschaft. Zit. in: Opitz 1994, S. 669
(5) Entwurf für eine Denkschrift des Auswärtigen Amtes über die Schaffung eines
„Europäischen Staatenbundes“ vom 9.9.1943, zit. in: Opitz 1994, S. 957f.
(6) Hermann Josef Abs auf einer Veranstaltung des Deutschen Instituts für
Bankwissenschaft und Bankwesen am 25.10.1940, zit. in: Opitz 1994, S. 798
(7) Wiener Zeitung vom 29./30.9.2018
(8) Der Spiegel vom 21. November 2018
(9) siehe dazu: Magdalena Bainczyk, Die umstrittene Justizreform in Polen. In:
WeltTrends. Das außenpolitische Journal, Nr. 143, Potsdam September 2018, S.
30ff.
Quelle: rubikon.news
Hannes Hofbauer,
Jahrgang 1955, studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der
Universität Wien. Er arbeitet als Publizist und Verleger. Im
Promedia-Verlag sind von ihm unter anderem erschienen
„EU-Osterweiterung. Historische Basis – ökonomische Triebkräfte –
soziale Folgen“, „Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im
postdemokratischen Zeitalter“ und „Feindbild Russland. Geschichte
einer Dämonisierung“.
18.05.2019 [Quelle: Rubikon] Die Demokratur Der Traum eines geeinten Europas verwirklicht sich mehr und
mehr — in der zwischen 1933 und 1945 geträumten Version.
von Roland Rottenfußer
Es war ein schöner Traum, aber eben doch nur ein Traum: ein vereinigtes Europa
als Oase des Friedens und der Freiheit. Dieses Europa hat nicht nur das
Friedensversprechen jener Generation gebrochen, die sich 1945 aus den Trümmern
eines furchtbaren Krieges erhob; es hat nicht nur die soziale Ungleichheit
zwischen den Ländern und auch im Inneren der einzelnen Staaten zu seinem
Markenzeichen gemacht — dieses Europa ist auch dabei, seine Freiheit zu
begraben. Die Freiheit, die es für seinen wichtigsten, immer wieder
pathostriefend beschworenen Exportartikel hält. Der Unterschied zwischen den
„bösen“ und autoritären Ländern des Ostens und den „guten“ des Westens ist dabei
nur marginal. Ob in Ungarn, Polen und Österreich oder in Spanien, Italien und
Frankreich; ob zentral in Brüssel und Berlin oder an der „Peripherie“, in
Griechenland — überall zündelt die Staatsmacht mit Werkzeugen der Diktatur. Wir
befinden uns längst auf dem Marsch in die autoritäre Postdemokratie.
Was tun Deutsche, wenn sie mehr Bürgerbeteiligung in der Politik wünschen? Sie
bestellen einen Übervater, der in den Medien zum Retter hochstilisiert wird, und
statten ihn mit umfassender Machtfülle aus. So geschehen 2010 im Fall der
„Schlichtung“ bei Stuttgart 21. Auf Heiner Geißler wurden über Wochen die
vereinigten Hoffnungen auf eine bessere Demokratie projiziert. Dann sprach er
sein „Urteil“: Stuttgart 21 soll weitergebaut werden. Die Bewegung der Gegner
taumelt bis heute unter der Wirkung dieses Schlags.
Wer also meinte, die „hohe Politik“ sei tatsächlich über das Kreuzchen am
Wahltag hinaus beeinflussbar, sah sich getäuscht. „Ihr dürft gern
mitdiskutieren, solange ihr nicht erwartet, dass wir uns tatsächlich danach
richten“, war die Botschaft der Mächtigen an ihr aufmüpfiges Volk. Leider ist
die Geschichte der Demokratie zugleich die Geschichte der Versuche von
Machtgruppen, das Volk von wirklichem Einfluss fernzuhalten.
Volksberuhigung durch Inszenierung scheinbarer Bürgermitsprache gehört zu den
Tricks der Herrschaftselite. Protestbewegungen, die wirklich etwas verändern
wollen, sind nur historisch hoch angesehen — und dann, wenn sich der Widerstand
gegen andere Regierungen und Systeme erhob. Man lobt tränenselig bei
Gedenkfeierlichkeiten die Helden der Leipziger Nicolaikirche und ihren Mut,
gegen ein verkrustetes System durchaus auch einmal mit Maßnahmen des zivilen
Ungehorsams aufzubegehren. Aber man knüppelt in Hamburg, Genua oder Paris, wenn
es an die eigenen Pfründe geht.
„Blendender Polizeieinsatz“
Das bekamen auch die Stuttgarter Kurzzeit-Rebellen zu spüren. Dietrich Wagner,
der Mann, der am 30. September 2010 durch Einsatz von Wasserwerfern schwer
verletzt wurde, ist heute auf einem Auge blind. Auf dem anderen besitzt er noch
eine Sehfähigkeit von 6 Prozent. Er äußerte damals im „Stern“, dass er nie mehr
an Demonstrationen teilnehmen wolle. Eine erfolgreiche Polizeiaktion insofern.
Der 30. September hat gezeigt: Es ist auch bei uns möglich, ein Polizeikader zu
schmieden, der Misshandlungen von Bürgern plant und durchführt. Noch immer gilt:
Der Ordnungsmacht muss aufs Wort gehorcht werden.
Wer sich anders entscheidet als es dem Wunsch
eines Polizei-Einsatzleiters entspricht, muss damit rechnen, dass
ihm körperliche Schmerzen oder bleibende Verletzungen zugefügt
werden.
All das ist leider weder ein „Ausrutscher“ noch eine Mär aus längst vergangener
Zeit. Im Zusammenhang mit den „Gelbwesten“-Demonstrationen seit November 2018
wurden in Frankreich mindestens 2060 Demonstrierende verletzt. Die Zahlen
stammen aus dem französischen Innenministerium. Demnach haben Sicherheitskräfte
mehr als 12.000 Mal Hartgummigeschosse abgefeuert. Mehrere Menschen verloren
Berichten zufolge dadurch ein Auge oder erlitten Knochenbrüche im Gesicht.
Dietrich Wagner steht mit seinem Schicksal längst nicht mehr allein.
Ein anderes Disziplinierungsinstrument sind überhöhte Strafen. In Großbritannien
hat 2011 ein Richter zwei junge Männer zu je vier Jahren Haft verurteilt, weil
sie zur Teilnahme an den Unruhen in mehreren britischen Städten aufgerufen
haben. Sicher war das nicht die feine Art, aber die Leben der beiden Männer
wurden damit praktisch zerstört — wegen eines facebook-Eintrags! Die englischen
Gefängnisse galten in der Folge der „harten Linie“ von Ex-Premier Cameron
seinerzeit als überfüllt, die Gerichte kamen mit dem Verurteilen nicht mehr
nach. [...]
09.05.2019 [Quelle: Aufstehen] Livechat mit
Sahra Wagenknecht & Fabio De Masi
Quelle: Aufstehen | veröffentlicht 09.05.2019
Sahra Wagenknecht und Fabio De Masi diskutieren im Livestream über Europa,
Enteignungen und mehr. Die Fragen stellten Aufstehen-Aktive in den Kommentaren
auf Facebook und YouTube. (Quelle:
Aufstehen Sammlungsbewegung)
Passend zum Thema:
18.05.2019 16:00 Das bessere Amerika
In Kanada begehrt eine wachsende Friedensbewegung gegen die wahnhafte
Politik der NATO auf. — Die USA bezeichnen sich gern verkürzend als
„America“ — als gäbe es auf dem Riesenkontinent keine anderen Länder. Schon ein
wenig weiter nördlich, in Kanada, ist die Mentalität teilweise eine ganz andere.
Das ist wohltuend, denn die Kanadier hören besser zu und wirken weniger
gehirngewaschen. Die Kleinstadt Regina etwa ist ein „kleines gallisches Dorf“
innerhalb des NATO-Territoriums, in dem sich die Menschen nicht mehr alles
bieten lassen. André Vltchek reiste im April 2019 dorthin, um an einer
Friedenskonferenz teilzunehmen... [Quelle:
rubikon.news] JWD
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09.05.2019 10:00
Die Europäische Union, auf kurze und auf lange Sicht Die Bürger der Europäischen Union, die ihr Parlament am 25. und 26. Mai wählen
werden, bereiten sich vor, die falsche Wahl zu treffen. Mit Blick auf ihre
unmittelbaren Probleme zögern sie zwischen verschiedenen Prioritäten. Wenn sie
stattdessen ihre Geschichte über einen langen Zeitraum analysierten, würden sie
den Ursprung ihrer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme erkennen
und zweifellos anders darüber entscheiden. [Quelle:
voltairenet.org] JWD
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15.03.2019 00:00 Die Schatten-Macht Die Eliten stürzen die Menschheit in immer neue Krisen und Kriege.
Interview mit Ullrich Mies über sein neues Buch „Der Tiefe Staat schlägt zu“. — Wer
in den 1980er Jahren für Abrüstung und Frieden auf die Straße ging, dürfte bei
der Renaissance des Feindbildes Russland und der erneuten Aufrüstung ein Déjà-vu
erleben. Geschichte wiederholt sich in diesem Kontext offensichtlich als
Tragödie. Allen ab etwa 1980 Geborenen wird dieser Zusammenhang nicht bewusst
sein. Ullrich Mies bespricht im Interview mit Nicolas Riedl von der
Jugendredaktion einige Aspekte des soeben erschienenen Sammelwerks „Der Tiefe
Staat schlägt zu — wie die westliche Welt Krisen erzeugt und Kriege
vorbereitet“, an dem 16 Autoren mitgearbeitet haben. [Quelle:
rubikon.news] JWD
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16.02.2019 02:00
10 wichtige Gründe, die NATO nicht zu lieben!
Der US-Friedensaktivist David Swanson geht hart mit der NATO und ihren
Befürwortern ins Gericht. - Die New York Times liebt die NATO, aber
müssen Sie das dann auch tun? [..hier]
- Äußerungen in den sozialen Medien und in Gesprächen erwecken den Eindruck,
Millionen US-Amerikaner, die bisher nichts oder wenig über die NATO wussten oder
sie für die brutalste Militärmacht der Welt hielten, weil sie nach Meinung von
Anhängern der Demokraten für den desaströsen Krieg in Afghanistan und nach
Meinung von Anhängern der Republikaner für das Chaos in Libyen verantwortlich zu
machen ist, hätten ihre Meinung geändert und hielten sie nun plötzlich für
immens wichtig und unersetzlich. [Quelle: Luftpost-KL] JWD
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07.07.2016 14:00 Die
agilsten Gegner Europas sitzen heute in Brüssel Sahra Wagenknecht im Bundestag - Die NATO-Einkreisung Russlands sichert
nicht den Weltfrieden, sondern gefährdet ihn. Es ist dringend Zeit für eine
eigenständige europäische Außenpolitik in der Tradition der Entspannungspolitik
und für die Ersetzung der US-dominierten NATO durch ein kollektives
Sicherheitssystem unter Einschluss Russlands. - Dass die Ergebnisse... [Quelle:
linksfaktion.de] JWD
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07.07.2016 03:30 Brexit und das Scheitern der Eliten KenFM am Telefon mit Peter König - Wer glaubt, der Brexit
sei nichts weiter als der Verlust eines EU-Mitgliedstaates, ist naiv. Politik
kann Jahrzehnte lang völlig abgekoppelt vor sich hin regieren, meist gegen den
eigentlichen Souverän. Das Volk scheint sich für seine Elite kaum zu
interessieren. [Quelle: KenFM] JWD
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